Atem-Bewusstsein: Der Schlüssel zu einer tiefen Meditation
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Von Swami Rama
Buchauszug aus seinem Buch
„Die Wissenschaft vom Atem – Eine praktische Einführung in Atmung, Atemachtsamkeit und Pranayama„
Das Atembewusstsein ist ein zuverlässiger Leitfaden für die Erfahrung der höheren Bewusstseinsebene und für die einpünktige Fokussierung des Geistes. Es bereitet den Meditierenden auf die Anwendung von Sushumna vor.
Sushumna
Obwohl das Wort Sushumna nicht in andere Sprachen übersetzt werden kann, bedeutet es meiner Ansicht nach den Geisteszustand, der ungestört und freudig ist und der auftritt, wenn der Atem anfängt, frei und gleichmäßig durch beide Nasenlöcher zu fließen. Ein solcher mentaler Zustand ist notwendig, damit der Geist in tiefere Bewusstseinsebenen reisen kann, denn wenn der Geist nicht in einen Zustand der Freude gebracht wird, kann er nicht stabil bleiben, und ein instabiler Geist ist überhaupt nicht fähig zur Meditation. Eine andere Yoga-Richtung, welche das Erwecken von Kundalini lehrt, sagt, dass ohne das Erwecken von Sushumna eine tiefe Meditation und das Erwecken von Kundalini unmöglich sind. Es gibt nur drei Techniken für die Anwendung von Sushumna: Erstens, die Konzentration auf die Verbindung zwischen den beiden Nasenlöchern; zweitens, Pranayama-Atemübungen während der Anwendung von Jalandhara Bandha; und drittens, die Meditation über das System der Chakras.
Der Prozess des Erweckens von Sushumna ist nur möglich, wenn man anfängt, die Stille zu genießen.
Der Prozess des Erweckens von Sushumna ist nur möglich, wenn man anfängt, die Stille zu genießen. Wenn man an einem ruhigen, friedlichen Ort in einer bequemen, stabilen Haltung sitzt und wenn keinerlei Zittern des Körpers als Störung auftritt, kann man beginnen, über den Atemfluss zu meditieren. In dem Moment, in dem man es tut, wird man sich vier Unregelmäßigkeiten im Atem bewusst: Erstens, Flachheit, zweitens Atemstöße, drittens Atemgeräusche und viertens das, was am meisten stört, die Pause zwischen Einatmen und Ausatmen.
In den Schriften wurde viel über diese Pause gesprochen, aber die Praxis macht einem zunehmend bewusst, wie wichtig dieses Thema ist. Wenn man anfängt, über den Atemfluss zu meditieren, lenkt die Pause den Geist ab. Einige der Schriften sagen, dass die Pause erweitert werden kann – andere sagen, dass sie weggelassen werden kann. Am Anfang muss man jedoch die Übungen des Pranayama und später die Übungen des Zurückhalten des Atems unter der Anleitung eines kompetenten Lehrers durchlaufen. Diejenigen, die keine Pranayama-Übungen machen wollen, können immer noch meditieren, aber ohne Atemwahrnehmung ist ein tiefer Zustand der Meditation unmöglich.
Im Atembewusstsein wird die Dauer der Ein- und Ausatmung mental sorgfältig beurteilt, und der Geist folgt der Bewegung des Atems genau und innig. Hier liegt der Unterschied zwischen Atemübungen und Atembewusstsein. In Atemübungen wird einem beigebracht, die Menge der eingeatmeten und ausgeatmeten Luft zu zählen, aber im Atembewusstsein geschieht dies nur mental. Es werden keine Finger verwendet, um die Nasenlöcher zu schließen.
Der Unterschied zwischen Atembewusstsein und Pranayama
Durch das Atembewusstsein wird die Kraft der Aufmerksamkeit gestärkt, und Aufmerksamkeit ist der Schlüssel zur Meditation. Im Atembewusstsein gibt es keine äußere Ablenkung, und die Aufmerksamkeit wird nicht aufgezehrt. Wir sprechen hier nicht über Atemübungen – das Atembewusstsein ist eine fortgeschrittene Technik! Sie entsteht erst, nachdem man die verschiedenen, zuvor (im Buch) beschriebenen Atemübungen praktiziert hat. Das Atembewusstsein ist entscheidend für jeden, der die höheren Techniken der Meditation erlernen möchte.
Atem: Die Brücke zwischen Körper und Geist
Der Atem ist eine Brücke zwischen Körper und Geist. Fortgeschrittene Yogis stellen fest, dass der Atem wie ein Thermometer ist, das die Bedingungen des Geistes und den Einfluss der äußeren Umgebung auf den Körper erfasst. Wer sein Atemverhalten studiert hat, kennt auch sein mentales und körperliches Verhalten. Das eigene Leben wird in diesem Bewusstsein mehr und mehr von der Kontrolle der Svaras (den Wellen des Lebens) beeinflusst und bestimmt.
Das Verhalten des Atems kann auch vor Krankheiten warnen. Wenn der Körper beispielsweise an Fieber leidet, beginnen sich die Nasenlöcher ungewöhnlich zu verhalten. Eines davon kann beispielsweise entweder zu stark aktiv sein oder für längere Zeit blockiert werden. In einem solchen Zustand funktioniert das Atmungssystem nicht normal. Die Lunge, das Herz und die verwandten Systeme sind gestört, und der Geist verliert sein Gleichgewicht. Fortgeschrittene Yogis nutzen ihr Atemverhalten, um die Leistungsfähigkeit ihres Geistes und Körpers zu beobachten, und sie kontrollieren das Verhalten ihres Atems durch verschiedene Übungen.
Der Atem und der Geist sind voneinander abhängig. Wenn man den Atem zurückhält, beginnt sein Geist, einpünktig-fokussiert zu werden. Wenn der Atem unregelmäßig und ruckartig ist, wird der Geist zerstreut. Nach dem Erreichen einer stabilen Haltung ist die Meditation über den Atem oder das Atembewusstsein selbstverständlich.
Das Atembewusstsein stärkt den Geist und erleichtert es ihm, nach innen zu gelangen. Wenn der Geist beginnt, dem Fluss des Atems zu folgen, wird einem die Realität bewusst, dass alle Geschöpfe der Welt den gleichen Atem atmen. Es gibt dann eine direkte Verbindung zwischen uns und dem Zentrum des Kosmos, das allen Lebewesen Atem gibt. Das ist eine lebendige Philosophie. Solange das Zentrum oder die lebendige Einheit im menschlichen Leben Prana – Lebenskraft – durch den Atem erhält, wird die Körper-Geist-Beziehung aufrechterhalten. Wenn diese Kommunikation unterbrochen wird, versagt der bewusste Geist, und der Körper wird von der inneren Einheit des Lebens getrennt. Diese Trennung wird als Tod bezeichnet.
Ein einpünktig-fokussierter Geist geht weiter und über Atembewusstsein hinaus
Verschiedene Schulen empfehlen verschiedene Objekte, um den Verstand einpünktig-fokussiert werden zu lassen. Diese sind sowohl konkret als auch abstrakt. Es können z.B. Klangsilben, ein Mantra oder eine Visualisierung sein, aber keines dieser Objekte ist auf lange Sicht ohne Atembewusstsein hilfreich. Es ist daher für Anfänger ratsam, die Gewohnheit des Atembewusstseins zu entwickeln und sich keine Sorgen um irgendeinen anderen Gegenstand zu machen, in dem der Geist ruhen könnte, denn Atembewusstheit ist ein sehr natürlicher und wesentlicher Schritt, um den höheren Zustand der Meditation zu erreichen.
Meditation ist der anhaltende Zustand des einpünktig-fokussierten Zustandes des Geistes. In tiefer Meditation ist der einpünktig-fokussierte Geist in der Lage, durch die Schichten des bewussten und unbewussten Geistes in den überbewussten Zustand zu gelangen. Dieser Durchbruch wird Samadhi genannt. Wenn man dies erreicht, ist man von jeder Bindung befreit und überwindet die Grenzen von Zeit, Raum und Kausalität. Der Mikrokosmos dehnt sich zum Makrokosmos aus, so wie ein Tropfen Wasser mit dem Ozean verschmilzt und zum Ozean wird. Der individuelle Atman ist mit dem kosmischen Brahman vereint und erreicht eine vollständige Identität mit ihm. Ein derartiger Mensch hat das Reich Gottes in sich selbst gefunden und die ultimative Freiheit gewonnen – die Freiheit von der endlosen Kette von Geburt und Tod. Die Evolution des Menschen zu Gott ist damit abgeschlossen.