Agni-Magazin
Winter 2022/23
Deines Lebens!
Du bist der Architekt
Deines Lebens!
Ein jahreszeitliches Editorial zum freudvollen Leben
für ein freudvolles Leben!
Von Michael Nickel
Rund um Pfingsten 2022 wandelte ich in und um Assisi, sowie in La Verna, auf den Spuren des Heiligen Franz von Assisi. Schon lange fasziniert mich, was dieser spirituelle Meister uns Menschen an Inspiration hinterlassen hat und ich fühlte mich dazu hingezogen, sein Leben etwas zu erkunden, indem ich in die Landschaft und den Raum eintauchte, in der Franziskus einst gelebt hat und die seit Hunderten von Jahren ein Ziel von Pilgern und Suchenden darstellt.
Diese Reise hat mich sehr berührt, weil es am Ende eine Reise zu mir selbst wurde, mit sehr vielen Aspekten der Selbstreflexion. Besonders beeindruckt haben mich dabei die „kleinen“ und auf den ersten Blick vielleicht sogar unscheinbaren Orte seines Wirkens, insbesondere die Felsnischen von La Verna in der Toskana und die kleinen Kapellen Porzinucola, San Masseo und San Damiano, sowie das Felsenkloster Eremo delle Carceri.
Zwei Dinge haben mich dabei besonders fasziniert: Zum Einen die Intensität der Erfahrung einer spirituellen Präsenz – etwas, das in der Yoga-Philosphie als Kshetra (Feld) bezeichnet wird. Man könnte sagen, dass es die Summe all dessen darstellt, was Menschen über die Zeit in diesem Raum an Energie hinterlassen haben – begonnen bei Franziskus, der Heiligen Klara, über ihre vielen Schwestern und Brüdern im Orden, bis hin zu all den Generationen von spirituellen Suchenden bis zum heutigen Tag.
Zum Anderen war es verblüffend, wie sehr mich diese Orte und die Lebensweise, welche sie so eindrücklich bekunden, an die Höhlen, Klöster und Tempel des Himalayas erinnerten, die ich in den Jahren vor der Pandemie besuchen durfte und über die ich in der Autobiografie von Swami Rama „Mein Leben mit den Meistern des Himalayas“, seinem mystischen Werk „Liebe flüstert“ und in der Biografie „Zur elften Stunde – Swami Rama“ von Pandit Rajmani Tigunait gelesen habe. Für mich war dies ein weiteres Zeugnis der Universalität, die allen spirituellen Traditionen der Welt zu Grunde liegt – etwas, das auch im Leben und Wirken von Franz von Assisi sehr präsent ist und teilweise in seiner Begegnung mit Sultan Al-Kamil, die er 1219 auf dem Kreuzzug von Damiette im Nahen Osten hatte, greifbar wird.
Eine liebe Freundin, die ebenfalls von Franziskus und seinem Leben beeindruckt ist, stieß mich in diesem Kontext zum Jahresbeginn wieder einmal auf das Friedensgebet des Franz von Assisi. Dieses Gebet ist von eingängiger Schlichtheit und doch Eleganz geprägt, doch die deutschen Versionen, die man so findet, erschienen mir in manchen Aspekten zu eingeengt und zu klein, so dass ich mich dem französische Original zugewandt habe. Auch wenn ich nur drei Jahre Französisch in der Schule hatte und mein aktiver Sprachgebrauch eingerostet ist, so wurde doch schnell klar, dass die Satzkonstruktionen und verwendeten Worte im Französischen diese Beschränktheit deutscher Übersetzungen in keinster Weise in sich tragen. Dies brachte mich dazu, einen bescheidenen Versuch zu unternehmen, dieses Gebet oder die „Poesie eines sehnenden Herzens“ so ins Deutsche zu übertragen, dass es dem französischen Original in den Bezügen und der Wortwahl näher kommt – auf die Gefahr hin, dass dabei vielleicht ein klein wenig die Eleganz der Wortwahl verloren geht, die bei den bisherigen deutschen Übersetzungen im Vordergrund gestanden haben mögen, da sie oft als Liedtexte dienen sollten.
Aktuell im Fokus
Lesedauer 5 Minuten Antworten von Pandit Rajmani Tigunait
Pandit Rajmani Tigunait sagt dazu: Selbsttransformation ist das Ziel von Yoga. Wenn unsere Praxis nicht zu einer qualitativen Veränderung in uns führt, ist es keine Yoga-Praxis. Die Selbstveränderung ist das Ziel, und die Yoga-Praxis ist das Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Yoga ist nicht einfach nur eine Reihe von Übungen, Atemtechniken oder verschiedenen Konzentrationsmethoden – Yoga ist eine Mischung aus Philosophie und Praktiken, die uns unsere tiefste Natur bewusst machen sollen. Um dieses Bewusstsein zu erlangen, müssen wir uns auf der Ebene von Körper, Atem und Geist verändern.
Yoga bedeutet „Vereinigung“. Die Yoga-Techniken sind darauf ausgerichtet, uns mit unserer höchsten Natur zu vereinen. Auf diesem Weg beseitigt Yoga die Mauern zwischen den verschiedenen Aspekten unserer Persönlichkeit und erweckt unsere Fähigkeit zu innerem Frieden, Harmonie und Klarheit des Geistes. Indem wir ein harmonisches Gleichgewicht im Inneren und Äußeren herstellen, finden wir zu einer Einheit mit den tiefsten Aspekten unseres Wesens. Doch zuerst müssen wir uns mit unseren Familien, unseren unmittelbaren Verwandten, unseren Freunden, Nachbarn und Kollegen in Einklang bringen. Ohne die Fähigkeit, ein harmonisches Gleichgewicht in unserer unmittelbaren äußeren Welt herzustellen, werden wir nicht in der Lage sein, ein harmonisches Gleichgewicht in unserer inneren Welt zu schaffen.
Selbsttransformation ist ein nie endender Prozess, also ist auch die Praxis des Yoga ein nie endender Prozess. Das bedeutet aber nicht, dass die Yoga-Paxis immer gleich bleibt. Während man wächst und sich verwandelt, verändert sich die Art der Praxis und wird immer feiner. Wenn wir zum Beispiel einen Großteil unserer Energie und Aufmerksamkeit darauf verwenden, mit verschiedenen körperlichen Beschwerden umzugehen, besteht der unmittelbare Zweck der Yoga-Praxis darin, uns dabei zu helfen, körperliche Beschwerden zu überwinden. Auf dieser Ebene konzentrieren wir uns auf die richtige Art zu essen, zu schlafen und zu trainieren. Wir lernen, wie man ein gesundes Atemmuster entwickelt und wie man Entspannungstechniken anwendet. In dem Maße, in dem du wir unsere Gewohnheiten ändern, verbessert sich unsere Gesundheit und körperliche Beschwerden sind nicht mehr das dringendste Bedürfnis.
Inspirierendes in Kriegszeiten
Lass uns ein wenig mit Zahlen und Zuständen weiterspielen. Letzte Woche haben wir uns mit den 18 Kategorien des Friedens aus dem Sri Vidyarnava Tantra beschäftigt. Wenn es so viele Arten oder Aspekte des Friedens gibt, muss es dann nicht auch etliche verschiedene Aspekte geben, die uns den Frieden rauben? – So ist es! Klingt logisch und wenn sich Yogis über das unterhalten, was uns den Frieden raubt, werden dabei regelmäßig die fünf Kleshas aus Yoga Sutra 2.3 – 2.9 zitiert:
Avidya – die Unwissenheit über unser wahres Selbst.
Asmita – die Identifikation mit etwas, bzw. unsere Selbstidentifikation im Bezug auf Äußeres und Inneres.
Raga – Vorliebe, Zuneigung zu etwas.
Dvesha – Abneigung gegen etwas.
Abhinivesha – Die Angst vor der Vergänglichkeit und dem Sterben.
Wer mich kennt, der weiß, dass ich jetzt stundenlang über den letzten Punkt – Abhinivesha – sinnieren und philosophieren könnte. Aber darum soll es gar nicht gehen. Wie so oft im Yoga Sutra handelt es sich bei den Kleshas um übergeordnete Konzepte, die auf den ersten Blick abstrakt erscheinen, weil sie im größtmöglichen Zusammenhang des menschlichen Geistes philosophisch betrachtet werden. Doch konkreter wird es wieder einmal, wenn wir im Zusammenhang mit den Kleshas in die tantrische Philosophie schauen. Das Netra Tantra etwa listet 14 psychische Zustände auf, die uns den Frieden rauben, weil sie eher dysfunktional sind. Diese wollen wir heute einmal näher betrachten. Ganz im Sinne von: „Kenne Deinen Feind“ … Selbst wenn er im Innern lauert und viel mit Punkt 1 von oben zu tun hat: Avidya, der Ignoranz uns selber gegenüber. Doch der Reihe nach …
Wie wir die Welt im großen verändern, indem wir uns selbst verändern
Unsere Beiträgsauswahl für Dich: Selbsttransformation und wie wir dadurch der ganzen Welt ein Geschenk machen
Vertiefende Aspekte zu einzelnen Mantras
Inspirierendes und Interessantes für Dich aus der Welt von Yoga, Meditation, Achtsamkeit, Lebenssinn und Lebensglück, Philosophie, Spiritualität, Ayurveda und Wohlbefinden.
Winter 2022/23:
2022/23 Winter, ZeitpunktUnser eigener Zorn ist Selbstzermürbung, die wir zur Selbstheilung loslassen müssen
Lesedauer 7 Minuten
Von Michael Nickel
Die Kultur der Empörung, die uns Menschen polarisiert und unsere Gesellschaft spaltet, und die letzlich unserer Wut und unserem Zorn freien Lauf gewährt, scheint sich in den letzten Jahren wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet zu haben. Ein Symptom dafür mögen die vielen sinnlosen Gewalt- und Zerstörungsorgien sein, die sich in Deutschland an Silvester 2022/23 abgespielt haben – ausgeübt von frustrierten, zornigen Menschen, die sich vom Lauf der Welt um das Betrogen fühlen, was eigentlich jedem Menschen von Geburt aus zustehen sollte: innerer und äußerer Frieden von extremen Lebensbedingungen, sei es Krieg, Vertreibung, Unterdrückung oder Angst davor, sich das Leben nicht mehr „Leisten zu können“. Die resultierende Diskussionen fokussiert sich ganz auf die Extreme, auf Schubladen und auf „Bestrafung“ – und vergisst dabei, dass all das nur die Spitze eines Eisberges ist, der in unserer Gesellschaft und in uns einzelnen Menschen tief in dunklen Wassern liegt: Unsicherheit, Enttäuschung, Frustration, Angst und daraus resultierender Wut und Zorn scheinen als latente Aggression überall zu lauern – selbst da, wo man es nicht erwarten würde.
Auch wenn sich in Europa in den letzten Jahren diese Kultur der zornigen Empörung ausgebreitet hat, ist diese Haltung weit davon entfernt, was der ehemalige französische Widerstandskämpfer Stéphane Hessel in seinem Essay Indignez-vous ! (Deutsch: Empört Euch!) im Jahr 2010 unter einer „Empörung“ verstand – nämlich eine engagierte Lebenshaltung, die dort zivilen Ungehorsam proklamiert, wo Institutionen massiv versagen.
Was sich jedoch in unserer Gesellschaft ausgebreitet hat, ist die Lebenshaltung, die eigenen Ansprüche als Goldstandard zu sehen – nur um dann festzustellen, dass diese Ansprüche weder vom Leben als Ganzes, noch von der Gesellschaft, noch von unseren Mitmenschen erfüllt werden. Das Resultat ist draus ist – wie die Yoga-Philosophie seit tausenden Jahren weiß – dass wir Enttäuschung erfahren und daraus Unsicherheit, Angst, zornige Empörung und schließlich unbändige Wut entsteht. Eine Wut, die sich dann ihr Ventil sucht und sich nach Außen gewalttätig entlädt – als häusliche Gewalt, als Krawalle, als gesellschaftliche Fehden, als Kriege! – Das ist so ziemlich das Gegenteil von gewaltlosem Widerstand und konstruktivem Beitragen zur Gesellschaft, das Menschen wie Gandhi oder Hessel vorschwebte.
Die Frage ist auch: sind diese finalen gewalttätigen Ausbrüche, welche im Außen sichtbar werden, eigentlich die verheerendste Konsequenz, die Unsicherheit, Angst, Zorn und Wut haben? – Die Antwort kommt zu uns in Form von Jahrtausenden bestehenden Erkenntnissen der Weisheitstraditionen der Welt. Sie lautet: Nein! – Der größte Schaden entsteht schon weit vor dem Ausdruck von Zorn und Gewalt im Außen! Der erste Schaden entsteht bei uns selbst, wenn wir uns unserer Unsicherheit und Angst zu lange aussetzen und daraus Wut und Zorn entstehen lassen! Wir sind die ersten Opfer der Gewalt von Empörung, Wut und Zorn in unserem Inneren! All diese Emotionen und zugehörigen Gedankenkonstrukte stören unseren inneren Frieden, zwingen uns, innerlich mit uns selbst zu kämpfen und Beschädigen immer mehr unsere Menschlichkeit, die immer fragiler wird und schließlich wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt und Wut und Gewalt im Außen eruptiert. Es ist ein Teufelskreis par excellence! – Wollen wir es wirklich so weit kommen lassen? Und wenn nein, was können wir tun, um uns zu „schützen“?
Bewusste Selbsttransformaton ist der Weg in die Balance im Leben
Im ersten Moment mag der Impuls kommen, gegen das zu kämpfen, womit wir im Außen konfrontiert sind – doch dies ist nur eine weitere Runde in dem Teufelskreis! Es ist der Versuch, etwas im Außen zu bewirken, um inneren Frieden zu erlangen. Doch kann das funktionieren? – Die Yoga-Weisheit zeigt uns den umgekehrten Weg: Verändere etwas im Inneren, um nicht mehr vom äußeren Abhängig zu sein! Und dass es dabei nicht um Weltflucht geht wird klar, wenn man der Weisheit weiter zuhört, denn sie vermittelt uns etwas erstaunliches: Die Veränderung im Inneren bewirkt Veränderungen im Außen! – Auch wenn es oft so dargestellt wird, als sei das Ziel des Yoga, die Welt zu überwinden und persönliche Freiheit zu erlangen – es geht darum, Freiheit von einer Knechtschaft durch die Welt und ihre äußeren Umstände zu erhalten, so dass wir in der Welt in innerem Frieden und innerer Freiheit leben können.
Unser eigener Zorn ist Selbstzermürbung, die wir zur Selbstheilung loslassen müssen