Friedensgebet des Heiligen Franz von Assisi – neue Übersetzung
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Von Michael Nickel
Rund um Pfingsten 2022 wandelte ich in und um Assisi, sowie in La Verna, auf den Spuren des Heiligen Franz von Assisi. Schon lange fasziniert mich, was dieser spirituelle Meister uns Menschen an Inspiration hinterlassen hat und ich fühlte mich dazu hingezogen, sein Leben etwas zu erkunden, indem ich in die Landschaft und den Raum eintauchte, in der Franziskus einst gelebt hat und die seit Hunderten von Jahren ein Ziel von Pilgern und Suchenden darstellt.
Diese Reise hat mich sehr berührt, weil es am Ende eine Reise zu mir selbst wurde, mit sehr vielen Aspekten der Selbstreflexion. Besonders beeindruckt haben mich dabei die „kleinen“ und auf den ersten Blick vielleicht sogar unscheinbaren Orte seines Wirkens, insbesondere die Felsnischen von La Verna in der Toskana und die kleinen Kapellen Porzinucola, San Masseo und San Damiano, sowie das Felsenkloster Eremo delle Carceri.
Zwei Dinge haben mich dabei besonders fasziniert: Zum Einen die Intensität der Erfahrung einer spirituellen Präsenz – etwas, das in der Yoga-Philosphie als Kshetra (Feld) bezeichnet wird. Man könnte sagen, dass es die Summe all dessen darstellt, was Menschen über die Zeit in diesem Raum an Energie hinterlassen haben – begonnen bei Franziskus, der Heiligen Klara, über ihre vielen Schwestern und Brüdern im Orden, bis hin zu all den Generationen von spirituellen Suchenden bis zum heutigen Tag.
Zum Anderen war es verblüffend, wie sehr mich diese Orte und die Lebensweise, welche sie so eindrücklich bekunden, an die Höhlen, Klöster und Tempel des Himalayas erinnerten, die ich in den Jahren vor der Pandemie besuchen durfte und über die ich in der Autobiografie von Swami Rama „Mein Leben mit den Meistern des Himalayas“, seinem mystischen Werk „Liebe flüstert“ und in der Biografie „Zur elften Stunde – Swami Rama“ von Pandit Rajmani Tigunait gelesen habe. Für mich war dies ein weiteres Zeugnis der Universalität, die allen spirituellen Traditionen der Welt zu Grunde liegt – etwas, das auch im Leben und Wirken von Franz von Assisi sehr präsent ist und teilweise in seiner Begegnung mit Sultan Al-Kamil, die er 1219 auf dem Kreuzzug von Damiette im Nahen Osten hatte, greifbar wird.
Eine liebe Freundin, die ebenfalls von Franziskus und seinem Leben beeindruckt ist, stieß mich in diesem Kontext zum Jahresbeginn wieder einmal auf das Friedensgebet des Franz von Assisi. Dieses Gebet ist von eingängiger Schlichtheit und doch Eleganz geprägt, doch die deutschen Versionen, die man so findet, erschienen mir in manchen Aspekten zu eingeengt und zu klein, so dass ich mich dem französische Original zugewandt habe. Auch wenn ich nur drei Jahre Französisch in der Schule hatte und mein aktiver Sprachgebrauch eingerostet ist, so wurde doch schnell klar, dass die Satzkonstruktionen und verwendeten Worte im Französischen diese Beschränktheit deutscher Übersetzungen in keinster Weise in sich tragen. Dies brachte mich dazu, einen bescheidenen Versuch zu unternehmen, dieses Gebet oder die „Poesie eines sehnenden Herzens“ so ins Deutsche zu übertragen, dass es dem französischen Original in den Bezügen und der Wortwahl näher kommt – auf die Gefahr hin, dass dabei vielleicht ein klein wenig die Eleganz der Wortwahl verloren geht, die bei den bisherigen deutschen Übersetzungen im Vordergrund gestanden haben mögen, da sie oft als Liedtexte dienen sollten.
Ob dieses Gebet nun wirklich vom Heiligen Franziskus stammt oder von jemandem anderen, der es im Geiste von Franziskus zu Papier gebracht hat, spielt an dieser Stelle keine Rolle, auch wenn viel darüber spekuliert wird. Für mich ist entscheidend, dass die folgenden Zeilen eine Lebenseinstellung zum Ausdruck bringen, welche wir heute wieder einmal mehr denn je brauchen. Man stelle sich eine Welt vor, in der alle oder zumindest viele Menschen nach dieser Maxime leben:
Friedensgebet des Heiligen Franz von Assisi
Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens.
Wo Hass ist, möge ich die Liebe hinzu geben.
Wo Kränkung ist, möge ich Vergebung hinein geben.
Wo Zwietracht ist, möge ich Einigkeit stiften.
Wo Irrtum ist, möge ich Wahrheit einbringen.
Wo Zweifel ist, möge ich Glauben wecken.
Wo Verzweiflung ist, möge ich Hoffnung säen.
Wo Finsternis ist, möge ich dein Licht hinein scheinen.
Wo Kummer ist, möge ich Freude bringen.O Meister, möge ich suchen,
nicht danach, getröstet zu werden, sondern zu trösten,
nicht danach, verstanden zu werden, sondern zu verstehen,
nicht danach, geliebt zu werden, sondern zu lieben,
denn im Geben empfängt man,
im Selbstvergessen findet man,
im Vergeben wird einem vergeben,
im Sterben wird man zum immerwährenden Leben wiedergeboren.Zugeschrieben Franz von Assisi (1182-1226), Erstveröffentlichung 1912 (in Französisch), Neu-Übersetzung 2023 von Michael Nickel.
Nutzung der unveränderten Übersetzung für nichtkommerzielle Zwecke gestattet unter Namensnennung und Linkverweis (gemäß Creative Commons Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 DE)
Ist es nicht schön, wie dieses Gebet für sich selbst steht? Und wie zeitgemäß es als Leitstern einer besseren Zeit leuchten könnte, würden sich mehr Herzen davon angesprochen fühlen, etwas davon ins eigene Leben zu tragen! Dabei ist es ganz gleich, ob man in diesem Gebet eine „höhere Macht“ im Außen oder das beste Selbst in unserem Innern ansprechen will! In diesem Sinne fügt sich das Friedensgebet des Heiligen Franziskus nahtlos in den Schwerpunkt der Winter-Edition 2022/23 des Agni Magazin: „Selbsttransformation für eine bessere Welt“.
Welche Transformation unseres Denkens und Fühlens mag sich für uns wohl ergeben, wenn wir uns dieses Gebet auch nur einmal pro Tag durchlesen oder ins Gedächtnis rufen? – Probier es doch aus!
Herzlichst,
Michael