Schwerpunkt: Mantra & Yantra
Agni-Magazin
Sommer 2022
Deines Lebens!
Lass uns ein wenig mit Zahlen und Zuständen weiterspielen. Letzte Woche haben wir uns mit den 18 Kategorien des Friedens aus dem Sri Vidyarnava Tantra beschäftigt. Wenn es so viele Arten oder Aspekte des Friedens gibt, muss es dann nicht auch etliche verschiedene Aspekte geben, die uns den Frieden rauben? – So ist es! Klingt logisch und wenn sich Yogis über das unterhalten, was uns den Frieden raubt, werden dabei regelmäßig die fünf Kleshas aus Yoga Sutra 2.3 – 2.9 zitiert:
Avidya – die Unwissenheit über unser wahres Selbst.
Asmita – die Identifikation mit etwas, bzw. unsere Selbstidentifikation im Bezug auf Äußeres und Inneres.
Raga – Vorliebe, Zuneigung zu etwas.
Dvesha – Abneigung gegen etwas.
Abhinivesha – Die Angst vor der Vergänglichkeit und dem Sterben.
Wer mich kennt, der weiß, dass ich jetzt stundenlang über den letzten Punkt – Abhinivesha – sinnieren und philosophieren könnte. Aber darum soll es gar nicht gehen. Wie so oft im Yoga Sutra handelt es sich bei den Kleshas um übergeordnete Konzepte, die auf den ersten Blick abstrakt erscheinen, weil sie im größtmöglichen Zusammenhang des menschlichen Geistes philosophisch betrachtet werden. Doch konkreter wird es wieder einmal, wenn wir im Zusammenhang mit den Kleshas in die tantrische Philosophie schauen. Das Netra Tantra etwa listet 14 psychische Zustände auf, die uns den Frieden rauben, weil sie eher dysfunktional sind. Diese wollen wir heute einmal näher betrachten. Ganz im Sinne von: „Kenne Deinen Feind“ … Selbst wenn er im Innern lauert und viel mit Punkt 1 von oben zu tun hat: Avidya, der Ignoranz uns selber gegenüber. Doch der Reihe nach …
Sommer 2022:
ZeitpunktSich vor den eigenen unbewussten Reaktionsmustern schützen und Kraft für den Alltag schöpfen
Lesedauer 10 Minuten
Von Michael Nickel
„Die Welt ist zum verrückt werden!“ – oder nicht? Ohne Zweifel leben wir in einer Zeit, in der die meisten von uns täglich mit mehr Herausforderungen konfrontiert werden, als uns gut tut. Aber sollen wir deswegen wirklich gleich verrückt werden? – Zum Glück muss es soweit nicht kommen. Die Yoga-Philosophie mit ihrer grundlegend konstruktiven Sichweise auf das Leben, das Universum und den ganzen Rest bringt es ja in Yoga Sutra 2.16 schön auf Sanskrit zum Ausdruck: „heyam dukham anagatam“ – oder zu gut Deutsch: „Zukünftiges Leid ist vermeidbar“. Und zwar vermeidbar im Sinne: es muss sich für uns nicht manifestieren. Es heißt nicht, dass wir den Kopf in den Sand stecken und die Dinge an uns vorbei ziehen lassen oder dass wir vor den Herausforderungen der Welt davonlaufen. Diese Sichtweise auf unsere Handlungsspielräume als Mensch sagt lediglich: wir können die Dinge so tun, damit das Leid ausbleibt.
Man könnte nun natürlich einwenden: „Ich hab doch keinen Einfluss auf das große Weltgeschenen, wie soll ich also das Leid vermeiden, das durch Krieg, Hunger, Energiekrise, Inflation, Materialmangel und was noch alles in der Welt entsteht?“ – Na, ist beim Lesen dieser Begriffe der Blutdruck schon hochgegangen? Der Puls schneller geworden? Die Laune in den Keller gegangen? – Sorry, aber da sind wir dann schon wieder beim persönlichen Leid! Doch nicht wegklicken jetzt, es kommt ja besser! Was in Yoga Sutra 2.16 angesprochen wird, hat wirklich Hand und Fuß: wir müssen nicht an potentiellen Dingen leiden, die noch nicht eingetreten sind. Ganz konkret auf diesen Sommer und die aktuelle gesellschaftspolitische Diskussion angewandt: Wir persönlich als Individuen können verhindern, dass wir im Winter am Gasmangel leiden! Die Yoga-Traditionen geben uns die Werkzeuge dazu in die Hand, um vor Leid geschützt zu sein.
Mantra, Yantra und die Meditation mit beidem
Und genau darum soll es in dieser Sommer-Edition gehen: Wie wir uns mit Hilfe von Mantra, Yantra und Meditation etwas innere Distanz verschaffen, um den Herausforderungen unserer Zeit und unseres persönlichen Lebens gelassener und weniger reaktiv begegnen, sondern vielmehr mit Besonnenheit und klarem Verstand. Doch wie soll das gehen?
Wir alle haben die Begriffe Mantra und Yantra schon einmal gehört. Trotzdem lohnt es sich, nochmal ganz bewusst die Bedeutung dieser beiden Sanskrit-Worte zu verdeutlichen, die ihren Weg in den umgangssprachlichen deutschen Wortschatz gefunden haben:
Um dieses Konzept von Schutz und Kontrolle durch Mantra und Yantra verstehen, hilft es, sich einige Dinge zu Fragen: Zum einen, Schutz wovor und Kontrolle worüber? Zum anderen, woher kommt eigentlich dieses „Leid“ und „Leiden“ von dem die Yoga-Philosophie etwa im Yoga Sutra, wie auch die Buddhistischen Lehren, etwa in den Vier noblen Wahrheiten sprechen? …
Sich vor den eigenen unbewussten Reaktionsmustern schützen und Kraft für den Alltag schöpfen