Svadhyaya: Die Kraft des Selbststudiums
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Antworten von Pandit Rajmani Tigunait
Frage Agni-Magazin: Das Yoga Sutra unterstreicht Svadhyaya – das Selbststudium – als eine Schlüsselkomponente der spirituellen Praxis. Wie kann Svadhyaya mir helfen, Hindernisse hinsichtlich meines spirituellen Wachstums zu beseitigen?
Pandit Rajmani Tigunait : Das Wort Svadhyaya bedeutet „Studium des Selbst durch einen selbst oder durch Nachsinnen über die Schriften“. Praktisch gesprochen bedeutet es, Japa (mentale Wiederholung) der offenbarten Mantras zu praktizieren, die wir von einem Lehrer durch Einweihung erhalten, und über die Anleitung zu kontemplieren, die wir von unserem Lehrer oder von den Lehren in den authentischen Schriften erhalten.
Oft verpflichten wir uns zu einer spirituellen Disziplin, ohne genügend Wissen über uns selbst, unsere Ziele und die Mittel zu haben, mit denen wir versuchen, unsere Ziele zu erreichen. Aus diesem Grund werden wir entmutigt, wenn während unserer Praxis Hindernisse auftauchen. Weil wir nicht genügend Wissen haben, können wir die Hindernisse oft nicht einmal erkennen.
Selbst wenn wir sie einmal erkannt haben, wissen wir nicht, wie wir sie überwinden können, weil wir ihre Ursache nicht kennen. Wir werden frustriert und entmutigt und geben der Praxis, dem Lehrer und uns selbst die Schuld. Indem wir Svadhyaya in unsere tägliche Praxis einbauen, erwerben wir die Fähigkeit, die Hindernisse zu erkennen, bevor sie auftauchen.
Mantra-Japa ist Selbststudium
Das Praktizieren von Japa hilft uns, Hindernisse zu erkennen und aufzulösen. Es ermöglicht unserem Geist, zum Zentrum des Bewusstseins zu reisen, ohne von den Reizen und Verlockungen der Welt abgelenkt zu werden. Mit Japa erreichen wir den selbstleuchtenden, friedlichen Raum im Inneren, aber wir werden uns auch des dunklen Ortes bewusst, aus dem unsere unerwünschten, aufwühlenden Gedanken aufsteigen. Wenn die Kraft des Mantra-Japa unseren Geist beruhigt, sind wir in der Lage, unsere subtilen Wünsche, Bedürfnisse und Ambitionen klarer zu erkennen. Wir werden uns der unbekannten Teile unseres Selbst bewusst, einschließlich derer, die schmerzhaft und beängstigend sind. Das gibt uns die Möglichkeit zu erkennen, worauf wir verzichten müssen, um in unserem Streben voranzukommen – was wir loslassen müssen, um etwas Neues und Verheißungsvolles zu erlangen. Auf diese Weise wird Japa zum Selbststudium. Durch eine solche Selbstprüfung sind wir in der Lage, unsere Prioritäten zu setzen.
Eine weitere Möglichkeit, Svadhyaya zu praktizieren, ist das Studium der Erfahrungen früherer spiritueller Suchenden, wie sie in den Schriften erzählt werden. Indem wir die Lehren aus diesen Geschichten auf uns selbst anwenden, lernen wir, unsere eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen. Das Studium der Schriften hilft uns zu verstehen, dass die Hindernisse, mit denen wir konfrontiert sind, dieselben sind, mit denen Suchende durch die Jahrhunderte hindurch konfrontiert wurden. Es kann uns auch helfen, Hindernisse zu erkennen, die auf uns lauern, bevor sie sich manifestieren, so dass wir sie ganz vermeiden können.
Selbstreflexion muss systematisch sein
Die Schriften geben uns auch klare Richtlinien für Selbstanalyse, Selbstbeobachtung und Selbstreflexion. Sie legen eine systematische Art und Weise dar, das Leben und seine Umstände zu betrachten und eine klare Vision der spirituellen Ziele zu erlangen. Diejenigen, die Svadhyaya praktizieren, erkennen die triviale Natur weltlicher Vergnügungen, und inspiriert von der Weisheit der Schriften sehnen sie sich nach ewiger Freude. Suchende, die Svadhyaya nicht praktizieren, laufen jedoch Gefahr, eine pessimistische Haltung gegenüber der Welt zu entwickeln und ein leeres und bedeutungsloses Leben zu führen, obwohl sie sich mit spiritueller Praxis beschäftigen. Svadhyaya wirkt wie ein lebendiger innerer Ratgeber.
Ein weiterer Vorteil des Selbststudiums ist, dass es unsere Überzeugung stärkt, dass die Praxis, die wir unternommen haben, edel und valide ist. Durch das Selbststudium kommen wir, wie das Yoga Sutra sagt, unserem Ishta Devata (dem von uns gewählten Namen und der Form des Göttlichen) näher, denn Svadhyaya durchdringt unsere Praxis mit göttlichem Bewusstsein. Das ist es, was unserer Praxis hilft, spirituell zu werden. Ohne sie wird beispielsweise die Praxis von Japa zu einer rein mentalen Übung. Es ist Svadhyaya, der den Kanal von Bhakti (Liebe und Hingabe) öffnet und dadurch Süße in die Praxis bringt. Ohne dieses Bewusstsein wird die Praxis trocken und mechanisch.
Erst Svadhyaya gibt Tapas und Ishvara Pranidhana tiefere Bedeutung
Im Yoga Sutra wurde Svadhyaya zwischen Tapas und Ishvara Pranidhana eingeordnet. Tapas bedeutet „Enthaltsamkeit oder Disziplin“. Es besteht aus der Einhaltung von Ernährungsvorschriften, körperlichen Übungen, geistiger Zurückhaltung und der Ausübung von Kontrolle über unsere Gedanken und Gefühle. Ishvara Pranidhana bedeutet „vertrauensvolle Hingabe an Gott“ – die Hingabe der Früchte unserer Handlungen an das Göttliche. Wenn die Lücke zwischen Tapas und Ishvara Pranidhana nicht mit Svadhyaya gefüllt wird, ist Tapas nur Buße – physische und psychische Folter – und Ishvara Pranidhana ist bloßes religiöses Gefühl. Svadhyaya, das Selbststudium, gibt beiden einen Sinn: Es verwandelt Tapas in Selbstverpflichtung und Ishvara Pranidhana in spirituelle Ekstase.
Modifizierter Auszug aus dem Buch „Inner Quest: Yoga’s Answers to Life’s Questions“ (Himalayan Institute, bisher nur in Englisch erhältlich). Das Thema wird von Pandit Rajmani Tigunait ausfühlich in seinem Buch „Das Geheimnis des Yoga Sutra- Samadhi Pada“ behandelt. (Deutsche Erstausgabe 2020, Agni Verlag) Das Buch ist erhältlich im Agni Verlag Webshop, in unserem Verlagsshop auf Amazon (inkl. Blick-ins-Buch) und im örtlichen Buchhandel.
Dieser Artikel erschien auch im Amrit Blog in der Wisdom Library des Himalayan Institute, USA.
Deutsche Übersetzung von Michael Nickel und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Himalayan Institute.