Warum wir Menschen Krieg führen

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Lesedauer 15 Minuten

Von Pandit Rajmani Tigunait

Niemand mag den Krieg, und doch ist er allgegenwärtig. Wir wissen um den Wert des Friedens, und doch scheinen wir Menschen ruhelos ohne eine gewisse Unruhe in der Welt. So wie wir als Individuen mit einer Vielzahl zerstörerischer Gewohnheiten belastet sind, sind wir auf kollektiver Ebene durch Kriege, Unruhen, politische Um­wälzungen und religiöse Kreuzzüge belastet. Doch jedes Mal, wenn wir kämpfen, zahlen wir einen hohen Preis. Die Sieger ver­lieren oft mehr als die­jenigen, die auf dem Schlachtfeld eine Niederlage erleiden.

Bevor ein Krieg ausbricht, verkündet jede Seite lautstark ihre eigene Recht­schaffenheit und die Schlechtigkeit des Gegners. Die Bevöl­ker­ung verunglimpft den »Feind«. Die Emotionen sind ent­flammt, das Kriegsfieber greift um sich, und es bleibt wenig Energie für eine gewaltfreie Lösung des Konflikts. Bevor der Krieg beginnt, behaupten beide Parteien, sie seien Boten des Friedens; manchmal behaupten die Anführer sogar, sie seien Propheten oder Retter.

Jeder, der über einen gesunden Menschenverstand verfügt, weiß, dass dies wahr ist – wir sagen, wir wollen Frieden, doch wir führen Krieg. Wenn ein Krieg zu Ende gegangen ist, ist jeder angewidert von dem Gemetzel, den zerrissenen und geschwärzten Landschaften, den zerstörten Städten und den zerstörten Leben. Die Überlebenden beider Seiten – Gewinner und Verlierer, Zivilisten und Soldaten, Anführer und Bürger – schwören sich, nie wieder in den Krieg zu ziehen. Doch leider ist das menschliche Gedächtnis kurz. Da wir die Lektionen der Vergangenheit vergessen und die Gründe für unsere Kämpfe nicht verstehen, finden wir uns bald in einem neuen Konflikt wieder.

Vor mehreren Jahrtausenden haben die Weisen der Yoga-Tradition über diese Dinge nachgedacht und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Ursachen für solche von Menschen verur­sachten Katastrophen subtiler sind, als wir gewöhnlich denken. In der Vergangenheit waren Gold, Edelsteine, Land, religiöse Über­zeugungen und Frauen die offenkundigen Gründe für Kriege. In der heutigen Zeit werden Frauen nicht mehr als Vorwand genannt, doch die anderen Faktoren bleiben unverändert.

Um den Kreislauf des Krieges zu stoppen, muss man nach Ansicht des Yoga die subtilen Ursachen erforschen, welche den ober­flächlichen Motiven des materiellen Gewinns und der religiösen Unter­schiede zugrunde liegen. Das sind Egoismus, Selbstsucht, Hab­gier, Ethno­zentris­mus und Minderwertigkeitsgefühle. Aus die­sen Gründen versäumen wir es, das zu tun, von dem wir wissen, dass es richtig ist, und halten an dem fest, von dem wir wissen, dass es falsch ist. In den heiligen Schriften wird dieses Phänomen als das Töten des eigenen Gewissens bezeichnet. Die großen Schriften des Yoga – die Bhagavad Gita, das Yoga Sutra und die Upanishaden – beschreiben deutlich, wie die subtilen Ursachen des äußeren Krie­ges aus der inneren Welt hervorgehen. Die wahren Ursachen des Krieges liegen in der mangelnden Bereitschaft des Einzelnen, auf die Stimme des Herzens – des inneren Gewissens – zu hören.

Der Blick auf die subtilen Ursachen

Soldaten sind keine fremdartigen Wesen. Sie sind unsere Verwandten und Nachbarn. Ihre Gedanken und Gefühle sind dieselben wie die unseren. Kämpfen ist ihre Aufgabe, doch wenn sie die Wahl haben, werden sie Gewalt genauso vermeiden wie ein Zivilist. Die Pflicht eines Soldaten ist es, die anderen Mitglieder der Gesellschaft vor Schaden zu bewahren, und die Regierungsbeamten, die ihnen den Befehl zum Kämpfen geben, tun ebenfalls ihre Pflicht, nämlich die soziale Ordnung zu lenken, zu regieren und zu erhalten. Die Gewalt geht nicht von den Soldaten oder den Regierungen aus, die sie beschäftigen. Sie geht von der grundlegendsten Einheit der Gesellschaft aus – dem Individuum.

Jedes Kind wird in eine religiöse und soziale Struktur hinein­geboren, in ein klar definiertes Gruppenbewusstsein, in eine be­stimmte Gesell­schaftsschicht, in eine bestimmte ethnische Zuge­hörigkeit, Kaste, Hautfarbe, einen bestimmten Glauben und ein bestimmtes Glaubensbekenntnis sowie in eine Reihe von Aber­glauben und Dogmen. Dies schafft ein Gefühl der Abgrenzung, und in dem Moment, in dem ein Kind die Welt betritt, be­gin­nen die Eltern, dies ihrem Nachwuchs aufzuzwingen. So kommen wir in die Welt und sind bereits in ein Netz von Etiketten und Identitäten verstrickt, an die wir allmählich zu glauben beginnen und die wir mit uns selbst verwechseln. Wir wachsen bis ins Erwachsenenalter in diese oberflächlichen Identitäten hinein, in das Gefühl, dass »ich« diese oder jene Charaktereigenschaft bin.

Unser gesamtes Wertesystem ist von den Elementen geprägt, die wir durch unsere Erziehung in uns aufgenommen haben. Unterschiede in den Werten ergeben sich aus verschiedenen Hintergründen, und da wir uns mit den Werten identifizieren, die uns aufgeprägt wurden, werden Menschen mit anderen Werten zu einer Bedrohung für unser Gefühl des »Ich-Seins«. Selbst die höheren Werte der Liebe und des Mitgefühls sind auf diejenigen beschränkt, die unsere Werte teilen. Deshalb predigen wir Liebe und Mitgefühl, während wir diejenigen, die nicht zu unserer eigenen kleinen Gruppe gehören, verurteilen und hassen.

Wir glauben, dass wir universelle Brüderlichkeit und Schwester­lich­keit schätzen, doch unsere Vorstellung davon ist ziemlich be­grenzt. Wenn eine Frau und ein Mann, die zwei verschiedenen Glaubens­richtungen angehören, sich darüber streiten, welche religiösen Werte sie ihren Kindern beibringen sollen, und die Angelegenheit schließlich durch Scheidung und Aufteilung der Kinder regeln, was kann man dann von zwei verschiedenen Kulturen erwarten? Haben Sie schon einmal von einem Muslim gehört, der ein christliches Kind adoptiert und es christlich erzieht? Das wäre ein Wunder, und die Person, die ein solches Kind aufzieht, wäre eine große Seele.

Dem Yoga zufolge gibt es ein kollektives Bewusstsein ebenso wie ein individuelles Bewusstsein. Eine Familie besteht aus ihren Mitgliedern. Eine Gemeinschaft besteht aus mehreren Familien, eine Gesellschaft aus mehreren Gemeinschaften, und eine Nation aus mehreren Ge­sell­schaften. So wie sich Kinder in der Familie um Spielzeug streiten, streiten sich auch Familien und Gemeinschaften untereinander.

Mala, Meditation, Mantra, Japa

Wo Yoga ins Spiel kommt

Eine Gemeinschaft gründet sich auf eine gemeinsame Basis von geteilten Werten. Auf der Grundlage dieser Werte grenzt sie sich von anderen Gemeinschaften ab. Während der Jahre, in denen sich das Ego entwickelt, denkt jedes Kind, dass es besser ist als andere Kinder. Die gleiche Tendenz ist bei Gemeinschaften zu beobachten. Wenn Menschen und Gemeinschaften reifen, lassen sie im Idealfall Nebensächlichkeiten hinter sich. Dies ist jedoch nur möglich, wenn der wichtigste Faktor – das Ego – transformiert, erweitert, verfeinert und poliert wird. Das Ego, das »Ich-Sein«, ist das größte Hindernis für die Transformation und Entwicklung eines Individuums auf der persönlichen Ebene und damit auch für die Gesellschaft auf der kollektiven Ebene.

Hier kommt Yoga ins Spiel. Dem Yoga zufolge besteht die Haupt­aufgabe des Einzelnen darin, das triviale Gefühl des »Ich-Seins« oder asmitā (Asmita) zu überwinden. Solange wir in der Auffassung feststecken, »Ich bin gut«, »Ich bin schlecht«, »Ich bin Christ«, »Ich bin Muslim«, »Ich bin Deutscher«, »Ich bin Inder«, »Ich bin überlegen«, »Ich bin minderwertig«, »Ich bin arm«, »Ich bin reich«, können wir weder uns noch anderen helfen. Stattdessen bleiben wir in die anstrengende Aufgabe verwickelt, das Ego zu füttern, das wir mit uns selbst verwechselt haben, während wir die Maske, die wir angenommen haben, fest aufrecht erhalten.

Um unser Ego vorübergehend zu befriedigen, urteilen wir über andere und haben Freude daran, uns in ihr Leben einzumischen, in der Illusion, dass wir in einzigartiger Weise qualifiziert sind, sie zurecht­zuweisen. Weil wir mit uns selbst unzufrieden sind, ver­suchen wir, andere zu zwingen, sich uns zu unterwerfen, in der Hoffnung, dass ihre Unterwerfung uns von unserem Wert überzeugt und dadurch unser Glück erhöht.

Jede Gemeinschaft und Gesellschaft besteht aus Menschen, die in dieser Täuschung aufgehen, und gemeinsam schaffen solche Indi­viduen ein größeres, kollektives Ego. Es gibt viele solcher Kollek­tive – ethnische Gruppen, Nationen, Sekten und Gruppier­ungen jeglicher Couleur. Dieses kollektive Ego ist der Grund dafür, dass Gemeinschaften Na­tionen bilden und Nationen Bündnisse eingehen. Es ist dieses Ego, das Ost und West, die Erste und die Dritte Welt entstehen lässt.

Friedenstaube

Die Ursachen von Anhaftung

Im Yoga Sutra, einem der wichtigsten Yogatexte, heißt es, dass sich Anhaftung und Abneigung direkt aus diesem Gefühl des »Ich-Seins« entwickeln. Ganz gleich, wie schrecklich unser Selbstbild ist, es ist äußerst schwierig, dieses Bild abzulegen und durch ein ausgewogeneres zu ersetzen, weil wir so stark an das ursprüngliche Gefühl des »Ich bin« gebunden sind. Aufgrund dieser Anhaftung zögern wir, dieses »Ich bin«-Gefühl zu hinterfragen, um herauszufinden, ob es real ist oder nicht. Und wegen dieser Anhaftung haben wir Freude daran, anderen die oberflächliche Größe unseres »Ich-Seins« aufzuzwingen. Wenn andere sich wehren, werden wir wütend. Wenn andere versuchen, uns oder anderen ihr Ego aufzudrängen, betrachten wir sie als Konkurrenten. Wenn wir feststellen, dass das Selbstbild eines anderen aus gesünderen und attraktiveren Elementen besteht als unser eigenes, werden wir neidisch. So entstehen Wut, Feindseligkeit und Eifersucht.

Wenn die Weltgemeinschaft hauptsächlich aus Menschen be­steht, die nicht an ihrem Ego gearbeitet haben, wird der Krieg in der Außenwelt kein Ende finden. Krieg ist das Ergebnis der dem individuellen und kollektiven Ego der Menschheit innewohnenden Eitelkeit. Das Ego leidet unter Armut, Eitelkeit und einem Gefühl der Leere, und es versucht, dieses Gefühl der Leere zu überdecken, indem es weltliche Gegenstände, einen guten Namen, Ruhm, Würde und Status erwirbt. Da es ihm an innerer Erfüllung mangelt, versucht es, dies mit Objekten zu kompensieren, die ihm eigentlich nicht gehören. Die Geschichte ist voll von Beispielen, in denen Land, Reichtum und Besitz dazu benutzt wurden, die innere Leere zu kompensieren und die Eitelkeit des Egos zu befriedigen. Unter dem Einfluss der Eitelkeit erhebt das Ego Besitzansprüche auf Objekte, die es nicht mit rechtmäßigen Mitteln erworben hat, und stößt auf andere Egos, die die gleichen Ansprüche erheben. So prallen die Interessen zweier individueller oder kollektiver Egos aufeinander, und Frieden und Harmonie werden zerstört.

Den Yoga-Schriften zufolge hat das Ego einen enormen Appe­tit. Der Name für diesen Appetit ist Begehren. Der Mensch hat unstillbare Begierden und vergisst bei der Erfüllung dieser Begierden, dass andere von denselben unkontrollierbaren Begierden ergriffen werden. Das Ego vergisst, dass es unmöglich ist, die ganze Welt zu besitzen. Es vergisst, dass andere die gleichen Triebe haben und dass deshalb seine Impulse mit denen der anderen kollidieren und zu Chaos führen werden.

Besitzgier führt unweigerlich zu Krieg

Wie viel Land braucht ein König, ein Schah oder ein Kaiser? Wie viel Reichtum ist nötig, um jemanden zu befriedigen, der sich nach Reichtum sehnt? Was ist der höchste Status und das stärkste Machtsymbol, das ein machthungriger Mensch erreichen kann? – Es gibt keine Grenze! Solange wir nicht die selbstzerstörerische Natur unserer eigenen Besitzgier verstehen, können wir nicht aufhören, Krieg zu führen.

Ergründen zu wollen, wer recht und wer unrecht hat, wer gut und wer böse ist, ist sinnlos. Die dringende Aufgabe besteht darin, einen Zustand des Wohlbefindens zu schaffen, einen Zustand der individuellen und sozialen Gesundheit, des Friedens und der Eintracht – einen Zustand, in dem alle Kräfte, alle Tendenzen, alle Elemente in Harmonie kommen und die Menschen friedlich zusammenleben können.

Besitzgier ist eine Krankheit. Die Anhäufung übermäßiger materi­eller Objekte ist lähmend. Dies gilt sowohl für die individuelle als auch für die kollektive Ebene. Eine Gesellschaft, der höhere spirituelle Werte vorenthalten werden, ersetzt sie durch eine rein materialistische Weltsicht und verliert dadurch die Fähigkeit, zwischen echten Be­dürf­nissen und unkontrollierten Wünschen zu unterscheiden. Eine solche Gesellschaft versäumt es, die Gaben der Natur und die Gaben des Göttlichen mit dem Rest der Menschheit zu teilen. Die Geschichte ist voll von Beispielen für dieses Unbehagen.

Das soll nicht heißen, dass Yoga die Armut fördert oder welt­lichen Wohlstand ablehnt. Yoga sagt einfach: »Erinnere dich daran, dass diese ganze Welt mit all ihren Objekten aus dem Gött­lichen hervorgegangen ist und immer noch im Göttlichen exis­tiert. Jedes einzelne Objekt, jeder einzelne Aspekt dieser Welt ist von Göttlichkeit durchdrungen. Die Dinge der Welt sind dir als Geschenke gegeben. Lerne, sie zu ge­nießen, ohne an ihnen zu häng­en. Während du dich an den Dingen der Welt erfreust, achte darauf, dass du nicht den Reichtum anderer begehrst.« (Isha-Upanishad, Vers 1).

Sobald wir verstehen, dass sich alles aus dieser einen Wahrheit entwickelt hat und dass alles in dieser Welt von dieser einen Wahr­heit durchdrungen ist, werden wir nicht mehr um Objekte kämpfen. Das Wissen, dass wir über diese weltlichen Ressourcen verfügen und dennoch nicht ihre Eigentümer sind, wird uns vor Streitigkeiten und Unstimmigkeiten bewahren.

Heilung Meditation

Eine neue Perspektive einnehmen

Das Problem ist, dass unser egozentrisches Ego uns nicht erlaubt, eine Perspektive einzunehmen, aus der eine solche Schlussfolgerung abgeleitet werden kann. Wir stehen also vor dem Problem, wie wir unseren Egoismus, unser Ego, unsere Gier und unsere Begierden in den Griff bekommen. Diese subtilen Probleme lassen sich weder durch politische Verhandlungen noch durch Predigten lösen. Sie sind die subtilen Ursachen unserer äußeren Katastrophen, und die einzige Möglichkeit, sie zu überwinden, besteht darin, spirituelle Werk­zeuge anzuwenden und uns den Disziplinen zu widmen, die uns zur Selbstveränderung führen.
Ein pragmatischer Politiker mag einwenden: »Nun, das ist alles sehr edel und philosophisch beruhigend, aber wie lässt es sich auf die Notlagen des Augenblicks anwenden?«

Ein Yogi würde antworten: »Das allgemeine Bewusstsein ist mäch­ti­ger als die Entscheidungen eines Einzelnen oder einer Handvoll von Menschen. Die erleuchtete Menge kann die Ungerechtigkeit, die eine Handvoll Menschen verursacht, beenden. Hat Mahatma Gandhi nicht einen friedlichen Krieg in Südafrika und Indien geführt und schließlich nicht nur den Krieg, sondern auch die Herzen derer gewonnen, die sich ihm entschieden widersetzten? So etwas kann man tun. Es erfordert Mut, Toleranz, Nachsicht, Aus­dauer und die uneingeschränkte Verpflichtung, die Philosophie zu praktizieren, zu der man sich bekennt, aber es ist möglich. In der großen Schrift Bhagavad Gita heißt es: Frieden ist unbezahlbar. Erreiche Frieden um jeden Preis.«

Der Pragmatiker wird entgegnen, dass dies zwar schön und gut ist, aber das unmittelbare Problem nicht löst, und dass es außerdem lange dauert, ein neues, gewaltfreies kollektives Bewusstsein zu schaf­fen. Wenn wir auf solche Argumente antworten, müssen wir daran denken, dass es uns nicht um das aktuelle Problem geht, sondern um die Zukunft. Selbst wenn es zwanzig, fünfzig oder hundert Jahre dauern sollte, um ein kollektives Bewusstsein der Gewaltlosigkeit zu schaffen, so wäre dies doch eine noble Errungenschaft, und wir sollten jetzt damit beginnen.

Die Folgen von Hass und Rache

Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass es möglich ist, Frieden mit unfriedlichen Mitteln zu erreichen. Denken Sie darüber nach: Beide Parteien sind davon überzeugt, dass sie für ein gerechtes Ziel kämpfen. Beide Parteien werden von Menschen getragen, die an ähnliche Ziele glauben. Wenn ein Krieg geführt wird, gehen Menschenleben verloren und natürliche und vom Menschen ge­schaf­fene Re­s­sourcen werden zerstört. Es stimmt, dass in der moder­nen Welt viele Nationen nach einem Krieg den geschädigten Ländern mit Hilfe und Geldern unter die Arme greifen, aber keine noch so große Hilfe kann die emotionalen Verletzungen heilen oder den Hass in den Herzen der Überlebenden besänftigen.

Das Leid und die Unterdrückung, unter denen die Menschen währ­end des Zweiten Weltkriegs litten, wirken auch nach über fünf­und­­siebzig Jahren noch nach. Der Hass auf die Unterdrücker hält an und führt zu Unruhen und Gewalt in Ländern wie Serbien, Kasachstan, Belarus, Ukraine und verschiedenen Ländern des Nahen Ostens. Nach jedem Krieg sind Rache und Hass wie geschmolzenes Gestein, das im Untergrund brodelt.

Die Nachkriegszeit, die so genannte »Friedenszeit«, ist die Zeit, in der sich das Magma der Rache und des Hasses zu bilden beginnt. Früher oder später wird es in einem Krieg explodieren. Das Magma bricht an der schwächsten Stelle durch und verwandelt diese Region in einen Vulkan. In unserer globalen Gesellschaft gibt es viele solcher Schwachstellen.

Wenn der Vulkan ausbricht, ist es wichtig, humanitäre Hilfe zu leis­ten und das Elend derjenigen zu lindern, die sich in seinem Weg befinden. Und es ist wichtig, eine solche Explosion so geschickt wie möglich zu beenden. Die entscheidende Aufgabe besteht jedoch da­rin, zu verhindern, dass sich das Magma wieder ansammelt, und dies kann nur geschehen, indem man die Angst, die Gier, den Egoismus und die Wut auslöscht, aus denen das Magma der Rache und des Hasses entsteht. Dies erfordert einen Ansatz, der die Kraft hat, eine qualitative und dramatische Transformation zu bewirken – einen »spirituellen« Ansatz.

Der Wandel beginnt beim Einzelnen

Dieser Wandel muss beim Einzelnen beginnen. Nur so kann eine veränderte Gesellschaft entstehen. Wann immer wir die Not­wendigkeit der individuellen Transformation ignorieren und statt­dessen die soziale Transformation betonen, entsteht in der Regel eine politische oder religiöse Bewegung, und die Transformation weicht einer sozialen Reform oder einer Art Sekte. Schließlich werden die Führer von ihrem Ego und ihrer Eitelkeit umgarnt, und die Bewegung bricht entweder zusammen oder ihre Integrität ist gefährdet.

Ein spiritueller Ansatz zur individuellen Läuterung und Trans­formation läuft nicht Gefahr, die höheren Werte zu opfern. Er ist dauerhafter als die soziale Transformation. Und sobald die Zahl der Individuen, die sich selbst transformiert haben, eine kritische Masse erreicht hat, findet die gesellschaftliche Transformation automatisch statt. Außerdem wirkt sich der individuelle Wandel unmittelbar auf das Leben der Kinder aus, während eine Massenbewegung nur die Erwachsenen betrifft. Was wir für unsere Kinder tun, ist entscheidend, denn es legt den Grundstein für die individuelle und kollektive Veränderung künftiger Generationen.

Die individuelle Transformation hat den weiteren Vorteil, dass sie für unsere Familien, Gesellschaften und Nationen leichter zu verkraften ist. Die höheren Tugenden können schrittweise entwickelt werden, und der Gesellschaft bleibt der Schock einer Revolution erspart. Revolutionen, selbst aus den besten Gründen, führen immer zu Unruhen und sind meist mit Blutvergießen verbunden. Individuelle Transformation vermeidet solche Katastrophen. Aus diesem Grund hat Buddha wiederholt verkündet: »Entzünde deine eigene Lampe, und das Leben anderer wird mühelos erhellt werden.« Niemand von uns hat die Macht, andere zu zwingen, sich von der Dunkelheit zu befreien. Die einzige Macht, die wir haben, ist zu zeigen, wie schön es ist, im Licht zu leben.

Gemäß der Yoga-Philosophie existiert eine Methode, um inneren Frie­den und Erleuchtung zu erlangen, und es gibt eine Methode, dieses Licht erstrahlen zu lassen. Es ist eine Methode, die sanft die Tugenden der Gewaltlosigkeit, der Liebe und des Mitgefühls entfaltet.

Echte Transformation erfordert, dass wir die Kluft zwischen un­ser­em weltlichen Leben und unserem spirituellen Leben schließen. Nur dann können wir eine doppelte Staatsbürgerschaft in zwei Wel­ten haben – der äußeren und der inneren Welt. Aus diesem Grund erfanden die alten Meister eine Methode der Transformation, die gleich­zeitig jeden Aspekt des Lebens betrifft: Körper, Atem, Geist, Seele und zwischenmenschliche Beziehungen. Dazu gehört, dass wir darauf achten, was wir essen und wie wir essen; dass wir darauf achten, wie wir denken, uns verhalten und mit anderen kommunizieren, wie wir diese Welt sehen und wie wir unseren Status und unsere Position erhalten, ohne den Status und die Position anderer zu bedrohen. Diese Methode ist die Praxis von ahiṃsā (Ahimsa) – Gewaltlosigkeit.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch Warum wir kämpfen – Yoga-Weisheit zu Krieg und Frieden: Inspirationen und achtsame Übungen für Gewaltlosigkeit, Mitgefühl und anhaltenden Frieden in deinem Umfeld und der Welt von Pandit Rajmani Tigunait. Übersetzung von Michael Nickel. Das Buch erschien im April 2022 als deutsche Erstausgabe als Softcover im Agni Verlag. Du erhältst das Buch im Online-Shop des Agni Verlags, über unseren Amazon Verlagsshop oder im gutsortierten örtlichen Buchhandel. Die PDF Flipbook-Vorschau zu „Warum wir kämpfen“ findest Du auf der Buchseite im Agni Verlag Webshop.

Pandit Rajmani Tigunait
Pandit Rajmani Tigunait

Pandit Tigunait, der spirituelle Leiter des Himalayan Institutes (USA), ist der Nachfolger von Swami Rama aus dem Himalaya. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert lehrt und unterrichtet er weltweit und ist Autor von mehr als 15 Büchern, darunter seine kürzlich erschienenen "The Secret of the Yoga Sutra" ("Das Geheimnis des Yoga Sutra" im Frühjahr 2019 auf deutsch bei Angi Verlag) "The Practice of the Yoga Sutra" und seine Autobiographie "Touched by Fire: The Ongoing Journey of a Spiritual Seeker". Pandit Tigunait hat zwei Doktortitel: einen in Sanskrit von der University of Allahabad in Indien und einen in Oriental Studies von der University of Pennsylvania in USA. Die Familientradition gab Pandit Tigunait Zugang zu einer großen Bandbreite spiritueller Weisheit, die sowohl in den schriftlichen als auch in den mündlichen Traditionen bewahrt wurde. Bevor er seinen Meister traf, studierte Pandit Tigunait Sanskrit, die Sprache der alten Schriften Indiens, sowie die Sprachen der buddhistischen, Jaina und zoroastrischen Traditionen. 1976 ordinierte Swami Rama Pandit Tigunait in die 5.000 Jahre alte Linie der Himalaya-Meister.

https://www.agni-verlag.de/buecher/pandit-rajmani-tigunait/

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