Gründe eine Yoga-Studiengruppe! – Gute Gründe, die dafürsprechen und wie man vorgeht

, ,
Lesen oder Zuhören? Du hast die Wahl! - Lass Dir den Beitrag von unserer KI-Stimme Anisha vorlesen!
Lesedauer 10 Minuten

Von Rolf Sovik

Unsere Yoga-Praxis ist von Natur aus eine fortwährende Angelegenheit. Die Vorwärtsbeuge von heute weckt eine Vorstellung davon, wie wir die Haltung morgen angehen, und die Stille, die wir in der Meditation von morgen suchen, wird durch die Art und Weise, wie wir unser Leben heute leben, vorbereitet. Und während unsere Fähigkeiten im Yoga allmählich reifen, wächst auch unser allgemeines Verständnis davon, was Yoga ist – zumindest diese Hoffnung inspiriert uns.

Doch im Westen besteht ein Problem. Die Entwicklung hin zu einer umfassenderen Vision des Yoga geht nur sehr langsam voran, und der Massenunterricht bewegt sich immer mehr in Richtung Athletik mit einer Prise Atmung, Entspannung und Inspiration dazwischen. Viele, die unterrichten, finden kaum Zeit, sich mit den Philosophien und meditativen Praktiken zu befassen, die traditionell das Ziel der Asana-Praxis sind, und die Unsicherheit über die Ursprünge und die Geschichte des Yoga ist weit verbreitet.

Die Entwicklung hin zu einer umfassenderen Vision des Yoga geht nur sehr langsam voran.

Das mag jetzt der Status von Yoga sein, aber das muss nicht so bleiben. Die meisten Lehrenden und Suchenden fühlen sich zumindest teilweise von der reflektierenden Qualität des Yoga angezogen, die sich in ruhigen Momenten der Atemwahrnehmung, langsamen Bewegungen, Entspannungen und Meditation offenbart. Die meisten Suchenden sind sich auch vage bewusst, dass Yoga mehr bietet als nur körperliches Wohlbefinden, dass es zu Glück und Seelenfrieden verhelfen kann. Es braucht nicht viel mehr als das, um die Neugierde auf die tieferen Möglichkeiten des Yoga zu wecken. Aber wie können diese Möglichkeiten ans Licht gebracht werden?

Hier ist ein Vorschlag. Tu dich mit anderen Yogaschülern zusammen und gründe eine Lerngruppe. Triff dich einmal in der Woche zum Meditieren, Lesen und Diskutieren. Wenn du Yogalehrerin oder Yogalehrer bist, dann gründe eine Gruppe mit deinen Schülerinnen und Schülern. Wenn du in deinem örtlichen Yogazentrum keinen Platz findest, könnt ihr euch bei jemandem zu Hause treffen. Eine solche Gruppe kann euch über Wochen – oder sogar Jahre – inspirieren und eure Praxis bereichern.

Gute Gemeinschaft

Gruppen können ein starker Anreiz für spirituelles Wachstum sein. Sie sind intellektuell anregend und bringen das Beste in jedem Mitglied zum Vorschein. Sie tolerieren unterschiedliche Temperamente und Lebensstile und ermöglichen es, vorübergehend eine neue Sichtweise auszuprobieren, indem man sich mit der Perspektive eines anderen auseinandersetzt.

Der Weise Vasishtha, der Lehrer des Helden Rama, zählte einst die vier Torwächter auf, die den Weg zur Selbstverwirklichung bewachen: Selbstbeherrschung, Forschergeist („Wer bin ich?“), Zufriedenheit und schließlich gute Gesellschaft oder gute Gemeinschaft (Satsanga).

Gute Gemeinschaft, so sagte er, „erweitert die Intelligenz und zerstört Unwissenheit und seelischen Schmerz. Sie sollte niemals vernachlässigt werden, egal was es kostet, wie schwierig es ist oder welche Hindernisse sich ihr in den Weg stellen. Sie allein ist das Licht auf dem Weg. Sie ist jeder Form von religiöser Praxis überlegen, sei es Wohltätigkeit, Enthaltsamkeit, Pilgerreisen oder Rituale.“

In seiner reinsten Form bedeutete Satsanga für Vasishtha Zeit, die er mit Meisterlehrern verbrachte, spirituellen Führern, deren Gesellschaft die Menschen um sie herum spontan erhebt. Aber wenn Satsanga weniger streng definiert wird, kann es auch die Gemeinschaft (Sanga) von Menschen sein, die nach Wahrheit und Weisheit (Sat) suchen und sich einem spirituellen Weg widmen. Eine Yoga-Studiengruppe trifft diese Definition voll und ganz.

Der fehlende Yoga

Wie willst du also anfangen? Die Yoga-Disziplinen, von denen einige bereits deine Aufmerksamkeit erregt haben, haben deinen Appetit auf die Praxis geweckt. Aber sie stehen nicht für sich allein. Sie müssen mit einem Lebensstil verbunden werden, der sie unterstützt, mit einem wohlwollenden Vertrauen in ihren Wert und mit einem Verständnis der Philosophie, die hinter ihnen steht. Wir könnten diese drei Aspekte als „der fehlende Yoga“ bezeichnen. Ohne sie wird die Praxis so etwas wie ein Handwerkszeug – Techniken, die von ihrem ursprünglichen Zweck isoliert sind. Aber wenn alle vier Bestandteile zusammenwirken, wird Yoga lebendig.

Das Ziel einer Lerngruppe ist es, den fehlenden Yoga aufzuspüren und ihn zu beleuchten. Das bedeutet, mehr über die Praktiken zu lernen, neue Lebensweisen auszuprobieren und die einzigartige Weltanschauung des Yoga zu erforschen. Zum Glück gibt es eine Fülle von Schriften über Yoga. Wenn du eine literarische oder spirituelle Neigung hast, kannst du zum Beispiel verschiedene Einführungen in die Bhagavad Gita und die Upanischaden genießen. Angehende Philosophen können Eknath Easwarans Die Essenz der Upanischaden: Was passiert, wenn ich sterbe? oder Das Geheimnis des Yoga Sutra – Sadhana Pada, einen Kommentar zu Patanjalis Yoga Sutra von Pandit Rajmani Tignait, lesen. Aus T. K. V. Desikachars Yoga – Tradition und Erfahrung kann man viel über die Praxis und das tägliche Leben lernen. Und das Himalayan Institute hat allein über 60 Bücher seiner Autoren veröffentlicht, davon sind etliche im Agni Verlag auf Deutsch erschienen. Einen Überblick darüber, wie Mantra in der Meditation eingesetzt wird, findest du in Die Kraft von Mantra und Yantra von Pandit Rajmani Tigunait. Und natürlich sind die Archive der Yoga-Magazine oder das Agni-Magazin, in dem Du gerade liest, voll mit Materialien, die sich ideal für die Gruppenlektüre eignen.

Sich organisieren

Jede Gruppe muss die Voraussetzungen für ihre Arbeit schaffen. Die beste Vorbereitung ist es, sich auf das einzulassen, was der Zen-Lehrer Shunryu Suzuki den „Geist des Anfängers“ nennt. Das ist die unvoreingenommene Bereitschaft, sich auf alles einzulassen, was der Gruppe präsentiert wird, und unvoreingenommen darüber nachzudenken. Wenn jedes Gruppenmitglied mit einem solchen Engagement beginnt, wird die Gruppe schnell zusammenwachsen.

Seit kurzem nehme ich an einer Gruppe teil, die mit einer Meditation (zwanzig bis dreißig Minuten) beginnt, gefolgt von einer Lektüre und einer Diskussion (etwa eineinhalb Stunden). Alle Mitglieder sind in der Mantra-Meditation ausgebildet und genießen sie. An manchen Abenden, wenn die Gruppe müde ist, ersetzen wir die Meditation jedoch durch eine Entspannungsübung im Liegen. Gelegentlich verwenden wir im Rahmen unserer Fortbildung eine Audio-Aufnahme mit geführten Übungen, oder wir entscheiden uns einfach dafür, in der Stille zu sitzen.

Ich erwähne das, weil es üblich ist, dass Yogaschüler viel über Yoga-Stellungen wissen, aber wenig Erfahrung mit Entspannungs- oder Meditationsübungen haben. Ein Thema der Gruppenarbeit kann sein, die Art und Weise zu erforschen, wie die Meditation in der Yoga-Tradition praktiziert wird. Es gibt viele Bücher und Aufnahmen, mit denen du die Erfahrungen der Gruppenmitglieder ergänzen kannst.

Der Diskussionsteil unserer Gruppentreffen variiert und im Laufe der Zeit haben wir mit einer Reihe von Formaten experimentiert. Zurzeit bringt jedes Mitglied abwechselnd ein Kapitel aus einem Buch oder einen Artikel über Yoga mit, um ihn in der Woche vor der Diskussion zu verteilen. Wir alle lesen den Abschnitt im Voraus und bringen ihn zum nächsten Treffen mit. Dort liest jeder von uns einen Absatz laut vor (wir haben eine „Drei-Satz-Regel“ – ein Absatz muss aus mindestens drei Sätzen bestehen) und wir lesen weiter, bis eine spontane Frage auftaucht oder klar wird, dass wir für eine Diskussion unterbrechen müssen. Die Person, die die Lektüre ausgewählt hat, hat oft einen Grund dafür, und die Diskussion dreht sich oft um diesen Grund. Oder wir springen in der Lesung von einer Stelle zur nächsten. Wir schließen sie nicht immer ab. Unser Ziel ist es, neue Ideen zu beleuchten.

Der Vorteil, einzelne Kapitel und Artikel zum Lesen auszuwählen, liegt darin, dass wir so eine Vielfalt an Themen haben, die wir untersuchen können. Und da die Interessen der Gruppenmitglieder zwangsläufig unterschiedlich sind, ist das wie ein Essen, das aus vielen leckeren und abwechslungsreichen Gängen besteht. Auf der anderen Seite bieten Bücher in voller Länge den Vorteil, dass sie ein Thema vertiefen. Bei einem Organisationstreffen könnte sich die Gruppe die Optionen ansehen, bevor sie sich auf das eine oder andere festlegt.

Ordnung wahren

Gruppen brauchen Ordnung. Manche Gruppen schaffen es gut, sich selbst zu organisieren. Andere brauchen einen Moderator, dessen Aufgabe es ist, die Diskussion in Gang zu halten und der Gruppe zu helfen, wenn sie zu sehr abgelenkt wird, sich verzettelt oder von einem einzelnen Mitglied dominiert wird. Eine Gruppe muss nicht perfekt sein, und manchmal ist eine lange Abschweifung genau das Richtige für sie. Aber nicht immer. Jede Gruppe muss die Fähigkeit erwerben, die emotionale Melodie hinter den Worten der Diskussion zu hören. Ob es notwendig ist, einen Moderator oder eine Moderatorin zu ernennen, um die Diskussion zu leiten, lässt sich feststellen, nachdem die Gruppe selbst gesehen hat, wie sie mit ihrer Zeit umgeht.

Eine Gruppe muss nicht perfekt sein, und manchmal ist eine lange Abschweifung genau das, was sie braucht.

Yoga-Studiengruppen sind keine Therapiegruppen und sollten auch nicht zu diesem Zweck eingesetzt werden – aber es ist unvermeidlich, dass lautes Sprechen (oder sogar lautes Lesen) automatisch dazu führt, dass man etwas von sich selbst preisgibt. Eine Yoga-Studiengruppe ist ein Ort, an dem man Vertrauen und Zuversicht aufbauen kann, und es ist sehr befriedigend, an einer Gruppe mit anderen teilzunehmen, die sich selbst und andere akzeptieren.

Gruppen können einfach und informell sein. Ein Yogastudio in einem Vorort nicht weit von uns entfernt ergänzt den vollen Terminkalender mit Asana-Stunden durch eine wöchentliche Lese- und Diskussionsgruppe, in der erforscht wird, „wie die Prinzipien des Yoga in unserem täglichen Leben angewendet werden können“. Die Gruppe ist kostenlos und trifft sich für eine Stunde. Sie heißt neue Suchende willkommen, dient als Ausgangspunkt für weitere Studien und hilft beim Aufbau einer Gemeinschaft – etwas, das beispielsweise jedem Yogazentrum zugute kommt.

Ein Samenkorn der Weisheit

Der Weise Vasishtha lehrte Rama oft über die Vorteile von Gesprächen und guter Gesellschaft für diejenigen, die auf dem spirituellen Weg sind. Er verglich die Geburt des spirituellen Lebens mit dem Wachstum eines Samens. Entweder durch eine natürliche Veranlagung oder durch eine Enttäuschung im Leben, erklärte er, wird ein Samen der spirituellen Einsicht in den Boden des Geistes gepflanzt. Dieser Boden wird durch rechtes Handeln gejätet, durch Hingabe bewässert und durch yogische Praxis genährt. So wird der Geist auf die Keimung des Samens vorbereitet.

Vasishtha sagte zu Rama, dass der Suchende, wenn sein Geist so vorbereitet ist, sich gute Gesellschaft suchen sollte – Menschen, die ihm sympathisch sind und die ebenfalls auf dem spirituellen Weg sind. Mit Hilfe dieser guten Gesellschaft wird der Samen durch Studium, Nachdenken und allmähliche Selbstveränderung bewässert. Dann wird er anfangen zu sprießen.

Dieses winzige Pflänzchen sollte beschützt werden. Vögel (hier als Metapher für Begierden, Anhaftungen, Stolz, Gier und andere negative Tendenzen) mögen versuchen, es zu fressen, doch Frieden und Zufriedenheit werden es schützen. Wenn große Stürme aufziehen (wie der Wunsch nach Reichtum oder das gedankenlose Streben nach Vergnügen), wird die Meditation die Pflanze vor Schaden bewahren.

Wenn der Samen geschützt wird, wächst er zu einem Spross heran und treibt zwei Blätter aus: das eine ist das Studium der yogischen Schriften, das andere ist die Gesellschaft der Weisen. Mit diesen beiden Blättern, die die Pflanze nähren, wird sie gedeihen, auch wenn sie von den Affen Anziehung und Abneigung geschüttelt wird. Schließlich wird der Samen Zweige aussenden: Weisheit, Klarheit der Sicht, Wahrhaftigkeit, Mut, Gleichmut, Mitgefühl, Freundlichkeit und einen guten Ruf. Und so wird der Samen mit Hilfe guter Gesellschaft zu einem großen Baum heranwachsen, der in der Meditation verwurzelt ist und den Menschen um ihn herum Schatten spendet.

Vasishthas Bilder sind ein überzeugendes Argument dafür, eine eigene Gruppe zu finden oder zu gründen. Du brauchst nicht allzu weit in die Zukunft zu blicken. Noch gibt es keine riesigen Bäume. Sammle einfach ein paar Mit-Suchende auf dem Weg für ein Brainstorming. Was würdet ihr gerne über Yoga wissen? Und wann könnt ihr euch treffen, um darüber zu reden?

 

Dieser Artikel erschien zuerst im englischen Original im Yoga International Magazin. Deutsche Übersetzung von Michael Nickel und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Himalayan Institute.

Rolf Sovik
Rolf Sovik

Rolf Sovik, Präsident und Spiritueller Leiter des Himalayan Institute, Doktor der Psychologie, begann 1972 sein Studium von Yoga und Meditation. Er ist Schüler von Swami Rama und Pandit Rajmani Tigunait und hat unter ihrer Anleitung die Lehren der Himalaya-Tradition erforscht. Er hat Abschlüsse in Philosophie, Musik, Östliche Studien und Klinische Psychologie. Derzeit lebt er mit seiner Frau Mary Gail am Himalayan Institute.

Hallo Lebensfreude!

Lasse Dich positiv inspirieren! Abonniere die Agni Verlag Neuigkeiten und verpasse keine Magazin-Edition und Buch-Neuerscheinung!

Ich akzeptiere die Nutzungsbedingungen entsprechend der Datenschutzerklärung und bin mit der dauerhaften Speicherung meiner Daten bis auf Widerruf für den Newsletterversand einverstanden.

Hallo Lebensfreude! - Bleibe Informiert ...

Abonniere die kostenlosen
Agni Verlag Neuigkeiten