Der Schlüssel zur Meisterschaft: Weshalb es für den Erfolg in der Praxis wichtig ist, die Anleitung zu befolgen

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Lesedauer 7 Minuten

Von Pandit Rajmani Tigunait

Mein spiritueller Meister, Swami Rama, gab mir einmal eine Übung. Auf den ersten Blick klang sie sehr einfach. Tatsächlich war sie so einfach, schlicht und simpel, dass mein Geist sie kaum registrierte. Der Kern der Übung bestand darin, sich auf ein Mantra zu besinnen und dabei meinen Geist auf die Mitte zwischen den Augenbrauen zu konzentrieren. Die Übung sollte in Savasana, der Totenhaltung, durchgeführt werden – auf dem Rücken liegend. Nachdem Swamiji erklärt hatte, wie man die Nebenübungen um die Hauptübung herum anordnet, sagte er: „Achte darauf, dass du dir während dieser Übung die Ohren verstopfst. Achte auch darauf, dass du diese Praxis nicht länger als dreißig Minuten durchführst. Wenn du mitten in der Übung einschläfst, fang nicht wieder an, sondern warte bis zum nächsten Tag.“

Es war so friedlich und herrlich, dass ich mich den ganzen Tag lang fühlte, als würde ich auf dem Ozean der Glückseligkeit surfen.

Ich wählte 6:30 Uhr am Morgen als Zeit für diese Übung. Ich beendete sie, ohne einzuschlafen oder mich ablenken zu lassen. Es war sehr friedlich. Am zweiten Tag war es noch friedlicher. Am dritten Tag war es so friedlich und herrlich, dass ich mich den ganzen Tag lang fühlte, als würde ich auf dem Ozean der Glückseligkeit surfen.

Am vierten Tag glitt ich innerhalb von etwa einer Minute in einen so ruhigen Zustand, dass ich meinen Herzschlag hören konnte. Es wurde lästig. Als ich meinen Geist mit größerer Intensität auf die Mitte zwischen den Augenbrauen konzentrierte, gelang es mir, den Geist vom Hören meines Herzschlags abzuhalten. Dann wurde der Wattebausch, den ich als Ohrstöpsel benutzte, zu einem Störfaktor. Die Fasern der Watte kitzelten in meinem Ohr, und es schien, als würden sie sich bewegen und ein unerträgliches Geräusch erzeugen. Ich versuchte mein Bestes, um meine Gedanken von diesem Gefühl abzulenken, aber es gelang mir nicht. Dann dachte ich: „Nun, Ohrstöpsel sind für Anfänger, die von äußeren Geräuschen abgelenkt werden. Ich bin ein erfahrener Meditierender – ich werde sie herausnehmen. Warum sollte ich mich mit den Geräuschen herumschlagen, die von den Fasern dieser Wattebällchen erzeugt werden?“

Ich entfernte die Wattebällchen aus meinen Ohren. Es fühlte sich sehr gut an. Jetzt, ohne Ohrstöpsel, erreichte ich den gleichen meditativen Zustand wie am Vortag und zehn Minuten später ging ich sogar noch einen Schritt weiter. Es war eine erstaunliche Erfahrung. Ich konnte spüren, dass ich einen Körper hatte, der aber nur einen winzigen Teil meines Bewusstseins ausmachte. Ich war überwältigt von dem Wunder, zu wissen, dass ich einen Körper hatte, aber nicht der Körper war.

Sobald ich begriff, dass sich mein Atem in meinem physischen Körper nicht bewegte, dämmerte mir eine Erkenntnis: Ich bin tot. Diese Erkenntnis erschreckte mich.

Damals wohnte ich in einem der Zimmer im zweiten Stock des Hauptgebäudes des Instituts. In dem Flügel, in dem ich wohnte, gab es mehr als vierzig Zimmer. Auf dem Höhepunkt meiner Praxis spürte ich, wie jemand den Korridor entlangging. Ein paar Sekunden lang konnte ich es ignorieren. Plötzlich wurde ich aus meiner Konzentration gerissen, als ich ein donnerndes Geräusch aus dem Korridor hörte. Es waren die Schritte von jemandem. Im Bereich meines inneren Bewusstseins war dieses Geräusch so explosiv, dass es mein Körperbewusstsein wegsprengte. Einerseits konnte ich meinen Körper noch auf dem Boden meines Zimmers liegen sehen, aber ich konnte ihn nicht mehr spüren. Andererseits spürte ich einen unerträglichen Schmerz in meinem feinstofflichen Körper, der über dem physischen Körper hing. Meine innere Wahrnehmungsfähigkeit war noch intakt und zeigte mir deutlich, dass die Lebenskraft, die sich zwischen dem physischen und dem feinstofflichen Körper hin und her bewegt, durch das plötzliche explosive Geräusch beschädigt wurde. Sobald ich begriff, dass sich mein Atem in meinem physischen Körper nicht bewegte, dämmerte mir eine Erkenntnis: Ich bin tot. Diese Erkenntnis erschreckte mich. In dem Bewusstseinsfeld, das immer noch den Raum und den ganzen Flügel im zweiten Stock ausfüllte, empfand ich Schmerzen, die das Nervensystem und das Gehirn nicht mehr ertragen konnten.

Ich schaute auf meine Frau, die im Bett schlief. Ich erinnerte mich daran, dass ich erst vor ein paar Monaten geheiratet hatte. Ich begann zu denken: „Was wird mit ihr geschehen, wenn ich nie wieder ins Leben zurückkehre? Wie werden meine betagten Eltern und meine jungen Schwestern den Schock über meinen Tod verkraften? Oh mein Gott – ich bin wirklich tot!“ Die Erinnerung an meine Frau, meine Eltern und meine Schwestern und meine Verbundenheit mit ihnen verstärkte meinen Schmerz so sehr, dass ich laut zu weinen begann. Doch inmitten dieser schmerzhaften Erfahrung war es aufregend zu wissen, dass es im physischen Körper keine Schmerzen gab. Ich dachte daran, meine Frau zu wecken, in der Hoffnung, dass sie mir helfen könnte, in meinen Körper zu kommen. Ich schüttelte sie und rief laut, um sie zu wecken. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich das mit meinem nicht-physischen Körper tat. Diese Erkenntnis machte mein Elend noch größer. Dann blitzte ein Gedanke auf: „Diese ganze Sache ist während meiner Praxis passiert. Hätte ich die Wattebällchen nicht aus meinen Ohren entfernt, hätte mich dieses äußere Geräusch nicht so hart getroffen.“ Ich erinnerte mich auch daran, dass ich diese Übung von Swamiji erhalten hatte. Bei dieser Erinnerung sah ich Swamiji, als ob er gerade durch die Tür gekommen wäre.

In der Vision betrat er wütend den Raum und schrie mich an: „Ich habe dir gesagt, dass du dir die Ohren verstopfen sollst!“ Dann veränderte sich sein Gesicht. Er sah mich freundlich an und sagte: „Aber das macht ja nichts.“ Er streckte seine Hände zur Decke, wo ich die größte Konzentration meines Bewusstseins gespürt hatte. Als er seine Hände in Richtung meines physischen Körpers auf dem Boden senkte, spürte ich, wie ich in diesen wieder eintrat. Dann verschwand Swamiji.

Normalerweise denken die Menschen, je schwieriger die Praxis, desto fortgeschrittener. Aus dieser Erfahrung habe ich gelernt, dass eine einfache, geradlinige Praxis die Tür zur inneren Dimension des Lebens öffnen kann, sofern wir sie nicht verzerren.

Ich erlangte mein Körperbewusstsein wieder. Ich spürte, dass es mein Körper war und ich mich in ihm befand. Trotzdem konnte ich ihn nicht bewegen. Er war wie betäubt. Dann blitzte ein Gedanke auf: „Habe ich geträumt? Bin ich heute während meines Trainings eingeschlafen? Wurde der Atem des Lebens wirklich unterbrochen? Träume ich in diesem Moment immer noch?“ Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mit Mühe meine Zehen und Finger bewegen. Ich strengte mich an. Ich streckte meine Arme und Beine und stand auf, aber ich fühlte mich immer noch schwach. Ich hielt mich am Bett fest und ging zu meiner Frau, um sie zu wecken. Um sicherzugehen, ob es sich um eine außerkörperliche Erfahrung oder nur um einen Traum handelte, fragte ich meine Frau: „Meera, habe ich geweint?“ Als sie verneinte, kam ich zu dem Schluss, dass diese Erfahrung weder ein Traum noch eine Halluzination war.

Normalerweise denken die Menschen, je schwieriger die Praxis, desto fortgeschrittener. Aus dieser Erfahrung habe ich gelernt, dass eine einfache, geradlinige Praxis die Tür zur inneren Dimension des Lebens öffnen kann, sofern wir sie nicht verzerren. Es hat Generationen gebraucht, um solche einfachen, aber kraftvollen Praktiken zu entdecken, zu verfeinern und zu systematisieren, und es ist wichtig, dass wir bei diesen Praktiken nicht zu kreativ werden.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Autobiograpgie von Pandit Rajmani Tigunait „Touched by Fire„. Copyright Himalayan Institute USA, mit freundlicher Genehmigung. Übersetzt von Michael Nickel.

Pandit Rajmani Tigunait
Pandit Rajmani Tigunait

Pandit Tigunait, der spirituelle Leiter des Himalayan Institutes (USA), ist der Nachfolger von Swami Rama aus dem Himalaya. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert lehrt und unterrichtet er weltweit und ist Autor von mehr als 15 Büchern, darunter seine kürzlich erschienenen "The Secret of the Yoga Sutra" ("Das Geheimnis des Yoga Sutra" im Frühjahr 2019 auf deutsch bei Angi Verlag) "The Practice of the Yoga Sutra" und seine Autobiographie "Touched by Fire: The Ongoing Journey of a Spiritual Seeker". Pandit Tigunait hat zwei Doktortitel: einen in Sanskrit von der University of Allahabad in Indien und einen in Oriental Studies von der University of Pennsylvania in USA. Die Familientradition gab Pandit Tigunait Zugang zu einer großen Bandbreite spiritueller Weisheit, die sowohl in den schriftlichen als auch in den mündlichen Traditionen bewahrt wurde. Bevor er seinen Meister traf, studierte Pandit Tigunait Sanskrit, die Sprache der alten Schriften Indiens, sowie die Sprachen der buddhistischen, Jaina und zoroastrischen Traditionen. 1976 ordinierte Swami Rama Pandit Tigunait in die 5.000 Jahre alte Linie der Himalaya-Meister.

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