Schlagwortarchiv für: Leiden

Lesedauer 4 Minuten

Von Wolfgang Bischoff

Ihr Lieben,

am 15. November 2024 ist wieder Vollmond. Nebel- und wolkenbehangen erscheint der Himmel und verbirgt seine unendliche Schönheit, in der dieses Mal vielleicht der Vollmond im Verborgenen strahlen wird. So wird also unsere Vorstellungskraft gefordert sein, das Nichtsichtbare innerlich sehen zu lernen. Um 21 Uhr, jeder an seinem Platz, lasst uns gemeinsam still werden und Kontakt aufnehmen mit diesem mystischen Phänomen, dass wir aus der Geistigen Welt kommen und von den Elementen körperlich gebildet werden, die sich in den Energiezentren, Chakren, zu organisieren beginnen.

Dieses Mal lasst uns das Element ERDE kontemplieren, das das unterste Chakra beherrscht und für unsere Überlebensfähigkeit zuständig ist.

Du kannst ein wenig ERDE in Deiner Hand halten–versuche Dir einmal zu verdeutlichen, wie Dich die ERDE hält.  Sie hält uns, ohne uns zu beurteilen, bedingungslos, immer, ohne Pause und weiß in ihrer Weisheit, dass wir aus ihr entstehen und uns wieder in ihr auflösen werden. Die Erde ist nicht eine tote Materie, sondern voller Leben, bewusster Energie und Licht. Erlebe die ERDE als etwas von Geistigem Durchdrungenes, Göttliches. Sie ist der Ursprung aller mütterlichen Qualitäten und aller Schöpfung. Sie zeigt uns, ohne Urteil sein zu können, aber voller Mitgefühl für jedes Lebewesen, für alles Lebendige.

Sie gibt bedingungslos, erträgt Erniedrigungen, Verletzungen, Vergiftungen gelassen und Geduldig und heilt alles wieder im Laufe der Zeit. Ihre Art ist selbstlose Großzügigkeit, sie gibt, hält und liebt ohne Erwartungen jeglicher Art. Das können wir von ihr lernen. Das kann uns zufrieden machen und uns helfen, ein sinnerfülltes Leben zu leben. Die ERDE lehrt uns, wie wir im Einklang mit unserem Schicksal leben können.

„Die Erde ist ein Energiefeld, die Form der Energie, die das Potential für physische Evolution trägt und enthält. Sie ist reich und vielseitig, und teilt ihren Reichtum großzügig. Sie nährt und unterstützt alles Lebendige ohne Unterschiede zu machen. Sie urteilt nicht und gibt bedingungslos. Sie harmonisiert Gegensätze wie das Leben und den Tod, sie stabilisiert und balanciert. Sie ist ein stilles Zentrum, um das sich Aktivitäten entwickeln. Sie dient selbstlos ohne Pause, sie hat Mitgefühl und Sympathie für alle Leidenden,  sie ist stark, hält und beschützt.

Ein Gebet wird häufig Kindern empfohlen bevor sie das Bett verlassen und die Erde betreten:  Du Mutter Erde, Ursprung der Meere und der Berge, Umgang der Götter, der Schöpfung, ich verneige mich vor Dir. Vergib mir bitte, dass ich Dich mit meinen Füßen berühre.“ schreibt Swami Nityananda in ihrem Buch über die Elemente

Wer eine solche innere Haltung entwickelt, der kann der Erde nichts Schlechtes mehr antun. Der wird sich für den Schutz alles Lebendigen einsetzen.

Konzentriere Dich auf Dein Energiezentrum im Boden der Wirbelsäule und kontempliere dieses Wunder der ERDE.

Ich wünsche Dir eine erkenntnisreiche, stille Stunde.

In liebevoller Verbundenheit

Wolfgang

 


P.S.:

Am jeweils letzten Freitag des Monats (außer Juli und Dezember) trifft sich mein Online-Jahreskurs zum „Inspirations- und Meditationsabend“. Diesen Monat, am Freitag 29. November, findet um 19 Uhr der letzte Live-Abend für dieses Jahr statt. Wie immer werden wir rund 90 Minuten mit Mantra-Invokationen, Meditation, Kontemplation und einem Austausch zur Lebensweisheit aus der Himalaya-Tradition gemeinsam verbringen. Im Dezember folgt dann noch ein inspirierendes Video mit einer Satsang-Aufzeichnung.

Es besteht jetzt die Möglichkeit, an diesem Abend zu einem ermäßigten Schnupperpreis teilzunehmen und gleichzeitig bis Ende des Jahres Zugang zum Kursportal mit allen Aufzeichnungen der Inspirations- und Meditationsabende von 2024, sowie den Materialien und den Bonus-Videos für Juli und Dezember zu bekommen. Siehe die Kursseite auf Agni Online unter folgendem Link: Meditationsabende mit Wolfgang Bischoff

Der nächste Jahreskurs startet dann im Januar 2025 und kann ab etwa 10. Januar gebucht werden. Der Schnupperzugang für den Rest von 2024 ist eine ideale Gelegenheit, diese Gruppenabende kennenzulernen.


Input von Wolfgang kannst Du über diese Online-Veranstaltungen auf unserem Agni Online Portal bekommen:

 

Lesedauer 7 Minuten

Von Wolfgang Bischoff

Liebe Freunde,

am 3. Juli erstrahlt der Sommervollmond am azurblauen Himmel. Lasst uns gemeinsam von 21 bis 22 Uhr still werden und über den Ausdruck reiner Liebe, die Du jetzt in allen Blüten wahrnehmen kannst und in dem zelebrierenden Vogelgezwitscher erlauschen kannst. So möchte ich das zum Anlass nehmen, um mit euch ein Gedicht und Aussagen des Buddha über die Liebe zu teilen:

Die Liebe 

Sag mir, oh Freund, was Liebe ist,
Kam sie mit leisen Schritten, kam sie wie ein Rauschen?

Der Freund wurde still und fing an zu lauschen

Und sprach wie ein leiser Gesang:
Sie kam wie ein rauschender Wasserfall,
Und schwebte auf goldenen Schwingen,
Sie drang in mein Herz,
Erfüllte mein Sein,
Und ein Schmerz löste sich in den Gliedern.

Dann stieg sie empor,
Wurde groß
Und ich still,
Bis meine Sinne erglühten.
Begann dann zu strahlen und zu erfreu’n,
Zu geben ohne Bedenken
Und wollte nur frei sein, beglücken und schenken,
Wollte erlösen und trösten
Und alles mit Licht erfüll’n.

Wolfgang Bischoff

 

Von der Liebe

Da sagte Almitra: Sprich uns von der Liebe.

Und er hob den Kopf und sah auf die Menschen, und es kam eine Stille über sie. Und mit lauter Stimme sagte er:

Wenn die Liebe dir winkt, folge ihr, sind ihre Wege auch schwer und steil.

Und wenn ihre Flügel dich umhüllen, gib dich ihr hin,
Auch wenn das unterm Gefieder versteckte Schwert dich verwunden kann.

Und wenn sie zu dir spricht, glaube an sie,
auch wenn ihre Stimme deine Träume zerschmettertn kann
wie der Nordwind den Garten verwüstetet.

Denn so, wie die Liebe dich krönt, kreuzigt sie dich.
So wie sie dich wachsen lässt, beschneidet sie dich.
So wie sie emporsteigt zu deinen Höhen
und die zartesten Zweige liebkost, die in der Sonne zittern,
steigt sie hinab zu deinen Wurzeln
u
nd erschüttert sie in Ihrer Erdgebundenheit.

Wie Korngarben sammelt sie dich um sich.
Sie drischt dich, um dich nackt zu machen.
Sie siebt dich, um dich von deiner Spreu zu befreien.
Sie mahlt dich, bis du weiß bist.
Sie knetet dich, bis du geschmeidig bist;
Und dann weiht sie dich ihrem heiligem Feuer,
damit du heiliges Brot wirst für Gottes heiliges Mahl.

All dies wird die Liebe mit dir machen,
damit du die Geheimnisse deines Herzens kennenlernst
und in diesem Wissen ein Teil vom Herzen des Lebens wirst.

Aber wenn du in deiner Angst nur die Ruhe und die Lust der Liebe suchst,
dann ist es besser für dich, deine Nacktheit zu bedecken
und vom Dreschboden der Liebe zu gehen.
In die Welt ohne Jahreszeiten,
wo du lachen wirst, aber nicht dein ganzes Lachen,
und weinen, aber nicht all deine Tränen.

Liebe gibt nichts als sich selbst und nimmt nichts als von sich selbst.

Liebe besitzt nicht, noch läßt sie sich besitzen;

Denn die Liebe genügt der Liebe.

Und glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken,
denn die Liebe, wenn sie dich für würdig hält, lenkt deinen Lauf.

Liebe hat keinen anderen Wunsch, als sich zu erfüllen.

Aber wenn du liebst und Wünsche haben mußt, sollst du dir dies wünschen:
Zu schmelzen und wie ein plätschernder Bach zu sein,
der seine Melodie der Nacht singt.

Den Schmerz allzu vieler Zärtlichkeit zu kennen.

Vom eigenen Verstehen der Liebe verwundet zu sein;

Und willig und freudig zu bluten.

Bei der Morgenröte
mit beflügeltem Herzen zu erwachen
und für einen weiteren Tag des Liebens dankzusagen;

Zur Mittagszeit zu ruhen
und über die Verzückung der Liebe nachzusinnen;

Am Abend mit Dankbarkeit heimzukehren;
Und dann einzuschlafen
mit einem Gebet für den Geliebten im Herzen
und einem Lobgesang auf den Lippen.

Khalil Gibran (* 06.01.1883, † 10.04.1931)

 

Frei nach Buddhas Lehre:

Die 4 Qualitäten der Liebe

Glück ist nur mit wahrer Liebe möglich. Wahre Liebe hat die Kraft, die Situation um uns herum zu heilen und zu verändern und unserem Leben einen tiefen Sinn zu geben. 

Lerne in diesem Leben zu praktizieren:    

Liebe — Mitgefühl — Freude — Gleichmut

Die Liebe ist die Absicht und Fähigkeit, Freude und Glück zu schenken. Um diese Fähigkeit zu entwickeln, müssen wir uns darin üben, tief zu schauen und zu hören, damit wir wissen, was wir tun und was wir nicht tun sollten, um andere glücklich zu machen. 

Ohne Zuhören zu können und verstehen zu lernen können wir nicht lieben.

Wir alle tragen den Samen der Liebe in uns. Wir können diese wunderbare Energiequelle entwickeln, indem wir die bedingungslose Liebe nähren, die keine Gegenleistung erwartet. Wenn wir jemanden zutiefst verstehen, selbst jemanden, der uns Schaden zugefügt hat, können wir nicht widerstehen, ihn oder sie zu lieben.

Das Mitgefühl ist die Absicht und Fähigkeit, Leiden zu lindern und zu transformieren und Sorgen zu erleichtern. Um Mitgefühl in uns selbst zu entwickeln, müssen wir achtsames Atmen, tiefes Zuhören und tiefes Schauen üben. 

Ein einziges mitfühlendes Wort, eine einzige Handlung oder ein einziger Gedanke kann das Leiden eines anderen Menschen lindern und ihm Freude bringen. Ein Wort kann Trost und Zuversicht spenden, Zweifel zerstören, jemandem helfen, einen Fehler zu vermeiden, einen Konflikt zu schlichten oder die Tür zur Befreiung zu öffnen. Eine Handlung kann das Leben eines Menschen retten oder ihm helfen, eine seltene Gelegenheit zu nutzen. Ein Gedanke kann dasselbe bewirken, denn Gedanken führen immer zu Worten und Taten. Wenn wir Mitgefühl in unserem Herzen haben, kann jeder Gedanke, jedes Wort und jede Tat ein Wunder bewirken.

Wir müssen uns des Leidens bewusst sein, aber unsere Klarheit, Gelassenheit und Stärke bewahren, damit wir helfen können, die Situation zu verändern. 

Die Freude 

Wahre Liebe bringt uns selbst und demjenigen, den wir lieben, immer Freude. 

Viele kleine Dinge können uns große Freude bereiten, wie zum Beispiel das Bewusstsein, dass unsere Augen in gutem Zustand sind. Wir brauchen nur die Augen zu öffnen, und schon können wir den blauen Himmel, die violetten Blumen, die Kinder, die Bäume und so viele andere Formen und Farben sehen. Wenn wir in Achtsamkeit verweilen, können wir diese wundersamen und erfrischenden Dinge berühren, und unser Geist der Freude entsteht ganz natürlich. Freude enthält Glück und Glück enthält Freude. Eine Freude, die von Frieden und Zufriedenheit erfüllt ist. 

Der Gleichmut der Ausgeglichenheit oder Loslassen bedeutet. Wahrer Gleichmut ist weder kalt noch gleichgültig.  Alle sind deine Kinder.  Du liebst so, dass alle deine Kinder deine Liebe erhalten, ohne Unterscheidung. 

„Die Weisheit der Gleichheit“ bedeutet, die Fähigkeit, alle als gleich zu sehen und keinen Unterschied zwischen uns und anderen zu machen. In einem Konflikt bleiben wir, obwohl wir tief betroffen sind, unparteiisch, fähig zu lieben und beide Seiten zu verstehen. Wir legen alle Diskriminierungen und Vorurteile ab und beseitigen alle Grenzen zwischen uns und anderen. . Wir müssen uns „in die Haut des anderen hineinversetzen“ und mit ihm eins werden, wenn wir ihn verstehen und wirklich lieben wollen. Wenn das geschieht, gibt es kein „Selbst“ und keinen „Anderen“.

Ohne Gleichmut kann unsere Liebe besitzergreifend werden. Eine Sommerbrise kann sehr erfrischend sein; aber wenn wir versuchen, sie in eine Blechdose zu stecken, damit wir sie ganz für uns haben können, wird die Brise sterben. So ist es auch mit unserem Geliebten. Er ist wie eine Wolke, ein Windhauch, eine Blume. Wenn man ihn in eine Blechdose sperrt, wird er sterben. Doch viele Menschen tun genau das. Sie berauben den geliebten Menschen seiner Freiheit, bis er nicht mehr er selbst sein kann. Sie leben, um sich selbst zu befriedigen, und benutzen den geliebten Menschen, um ihnen dabei zu helfen, das zu erreichen. Das ist nicht liebevoll, sondern zerstörerisch.

Du sagst, dass du ihn liebst, aber wenn du sein Streben, seine Bedürfnisse und seine Schwierigkeiten nicht verstehst, befindet er sich in einem Gefängnis, das sich Liebe nennt. Wahre Liebe erlaubt dir, deine Freiheit und die Freiheit deines Geliebten zu bewahren. Das ist Gleichmut

Damit Liebe wahre Liebe ist, muss sie Mitgefühl, Freude und Gleichmut enthalten. Damit Mitgefühl wahres Mitgefühl ist, muss es Liebe, Freude und Gleichmut in sich tragen. Wahre Freude muss Liebe, Mitgefühl und Gleichmut enthalten. Und wahrer Gleichmut muss Liebe, Mitgefühl und Freude in sich tragen.

 

Ich wünsche euch eine besinnliche, stille Stunde

in liebevoller Verbundenheit

Wolfgang

Immer wieder taucht die Aussage auf, dass wir lernen können zuzuhören, zu lauschen und tief zu verstehen. Dazu möchte ich vom 3. bis zum 5. November 2023 ein Online-Seminar geben, das über die Kurs-Plattform agni-online.de zugänglich sein wird, jedoch ausschließlich direkt über mich gebucht werden kann. Wer daran Interesse hat, kann mich gern anschreiben, w.bischoff (at) hc-academy.com. Die Kosten betragen 400,00 € und können bei Bedarf zum Teil von einer Studienstiftung übernommen werden.

 

Die Titel-Illustration zu diesem Vollmondtext wurde speziell für diesen Beitrag mit Hilfe von DreamStudio AI erzeugt, unter Verwendung einer künstlichen Intelligenz, die aus beschreibenden Texten Bilder generiert.

 

Lesedauer 6 Minuten

Von Rolf Sovik

Im vorigen Beitrag der Serie „Yoga als Heilkunst“ haben wir uns mit der Natur der Schmerzen auseinandergesetzt. Nun wenden wir uns den Werkzeugen der Heilung zu. Unter den sechs Darshanas (Schulen) der indischen Philosophie bietet Yoga die Werkzeuge – Haltungen, Atemtraining, meditative Methoden und Selbstreflexion – um sich aktiv mit dem inneren Leben auseinanderzusetzen. Daher wird Yoga auch als Moksha Shastra, als „Befreiungslehre“ bezeichnet. Aber Befreiung wovon? Behalte im Hinterkopf, dass Yoga, auch wenn es als Moksha Shastra beschrieben wird, kein Fluchtweg ist. Yoga sagt uns nicht, dass wir uns von der Welt abwenden oder menschliche Angelegenheiten vermeiden sollen. Vielmehr ruft Yoga zu Selbstanstrengung und Selbstreflexion auf. Sein Ziel ist es, in den Worten der Bhagavad Gita, zu einer „Abkopplung“ von der eigenen schmerzhaften „Verbindung mit dem Leiden“ zu gelangen (Bhagavad Gita 6.22-6.23). Dies ist die zugrundeliegende Bedeutung von Moksha und das Ziel aller Praxis – die Befreiung von Schmerz und Leiden.

Vertrauen und der innere Heiler

Die Reise zu einer solch bemerkenswerten neuen Perspektive ist eine, auf der wir uns allmählich selbst transzendieren. Yoga hilft, diese Art von Veränderung herbeizuführen – aber wie? Welche Verschiebungen machen neues Lernen durch Yoga möglich? Wie wir in früheren Beiträgen zu Yoga als Heilkunst gesehen haben, sind die Bedürfnisse, die uns auf einen yogischen Weg bringen, vielfältig. Sie beinhalten das Bedürfnis nach Heilung, nach persönlicher Entfaltung und nach spirituellem Erwachen. In jedem Fall wird gesagt, dass Shraddha (Vertrauen) die Anfänge des Pfades charakterisiert. Selbst die Behebung kleinerer Leiden (ein Schnitt im Finger oder eine laufende Nase) erweckt das Vertrauen – Vertrauen an die Kraft und die Gegenwart eines inneren Heilers. Mit jeder Demonstration von wiederhergestellter Gesundheit und wiedergewonnener Kraft, gewinnen wir noch mehr Gewissheit, dass es eine heilende Präsenz in uns gibt. Und indem wir uns dem Gleichgewicht zuwenden und uns mit so grundlegenden Werkzeugen wie Ruhe, Atmung und ruhigem Loslassen ausrichten, laden wir diese Kraft der Heilung ein, nach vorne zu kommen.

Selbst wenn die Gesundheit ernsthaft untergraben ist – herausgefordert durch chronische Krankheit, emotionale Not oder starke Schmerzen – verankert der Glaube an den Heilungsprozess unsere Suche nach Erleichterung und weckt das Vertrauen in die Wirksamkeit der Yoga-Techniken.

Für die meisten von uns beginnen diese Techniken mit Asana, einer Reihe von Körperhaltungen und unterstützenden Praktiken, die das Bewusstsein für den physischen Körper wecken. Eine gut durchdachte Asana-Routine kann grundlegende Veränderungen in der Art und Weise bewirken, wie wir auf Schmerzen reagieren. Mit der Zeit können ruhigere Reaktionen, stabilere Stimmungen und vorteilhafte Veränderungen im Lebensstil Teil einer neuen Fähigkeit werden.

Es ist unvermeidlich, dass der Fortschritt im Yoga zu dem Wunsch nach mächtigeren Heilungswerkzeugen führt. Yoga-Anleitungen scheinen oft genau das zu bieten – Wege, unsere Grenzen zu erweitern. Aber während anspruchsvolle Haltungen uns verlocken mögen, sind weniger anspruchsvolle Strategien oft besser für die Heilung geeignet. Ein praktischer Ansatz ist es, eine erholsame Einstellung zur Asana-Arbeit einzunehmen. Langsames und geduldiges Dehnen, systematisches Kräftigen der Muskeln, Koordinierung der Bewegung mit der Atembewusstheit, Aufmerksamkeit für die energetischen Dimensionen der Praxis – all diese Strategien helfen.

Rahmen für die Selbstreflexion

Ein weiterer Ansatz ist die Selbstreflexion. Das spirituelle Leben ist von Natur aus reflektierend. Seine Themen – darunter Gesundheit und Heilung – veranlassen uns, verschiedene Aspekte der Yoga-Lehre zu nutzen, um uns selbst zu untersuchen. Mit der Zeit führt diese Selbstanalyse zum Erkennen von Samskaras (Gewohnheitsmustern), die unsere tägliche Routine formen und unsere Wünsche befeuern. Yoga-Schüler sind besonders daran interessiert, diese Muster des inneren Lebens zu verstehen und so zu lernen, über sie und ihre negativen Folgen Herr zu werden.

Eine besonders nützliche Strategie ist es, die Werkzeuge der Kontemplation und Selbstreflexion zu pflegen, die im Yoga-System selbst eingebaut sind. Ein Beispiel für diese Werkzeuge ist die Sammlung der Yamas und Niyamas, die Einschränkungen und Gebote, die die Grundlage und die ersten beiden Glieder des Raja Yoga sind (Yoga Sutra 2.29).

Yamas

  • Nicht-Verletzen
  • Wahrhaftigkeit
  • Nicht-Stehlen
  • Mäßigung der Sinne
  • Nicht-Besitzergreifung

Niyamas

  • Reinheit
  • Zufriedenheit
  • Entschlossene Selbstanstrengung
  • Selbst-Studium
  • Vertrauensvolle Hingabe an das Unendliche

Das Bemühen, die Yamas und Niyamas zu praktizieren, ist ein wesentlicher Bestandteil des yogischen Prozesses der Introspektion. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit bewusst zur Ruhe bringen und sie nach innen richten, um darüber zu kontemplieren, wie wir diese zehn Verpflichtungen praktizieren oder nicht praktizieren, wird sie ganz natürlich zum feinsten Teil des Geistes, die Buddhi, gezogen. Dort, sensibel für das Reine und das Unreine, leitet uns die Buddhi. Es gibt uns ein inneres Gespür dafür, ob wir auf dem richtigen Weg sind, ob wir in uns selbst zentriert sind – selbst im Angesicht konkurrierender Ablenkungen – oder ob wir beginnen, vom Pfad abzuweichen und was wir tun müssen, um wieder in die Mitte zu kommen. Wenn wir uns an dem orientieren, was wir als weise und wahr empfinden, dann wird die Selbstreflexion zu Ausgeglichenheit und Selbstverständnis führen. Wenn wir uns beispielsweise wütend fühlen, können wir auf zwei Arten reagieren: wir können reagieren und zurückschlagen, was noch mehr Schaden anrichtet, oder wir können zurücktreten, ein paar Mal tief durchatmen, weggehen und darüber nachdenken, was unseren Ärger ausgelöst hat und warum – und dann daran arbeiten, ihn zu lösen.

Du kannst eine ähnliche Praxis der Kontemplation kultivieren, basierend auf der Liste der neun Hindernisse (Antarayas) und der sie begleitenden Symptome, die im Yoga Sutra 1.30-1.31 zu finden sind. Hier ist die Liste von allen:

Hindernisse

  • Krankheit
  • Mentale Trägheit
  • Zweifel
  • Nachlässigkeit
  • Trägheit
  • Unfähigkeit, sich von Sinnessehnsüchten zurückzuziehen
  • Festhalten an Missverständnissen
  • Unfähigkeit, Fortschritte zu erreichen
  • Unfähigkeit, den erreichten Fortschritt zu bewahren

Symptome

  • Schmerz
  • Entmutigung
  • Unruhige Gliedmaßen
  • Störung der Einatmung
  • Störung der Ausatmung

Diese Hindernisse weisen auf Blockaden im Entfaltungsprozess des Yoga hin. Sie repräsentieren Umstände, in denen Gleichmut und Konzentration abgenommen haben und durch eine oder mehrere umherstreifende Tendenzen des Geistes ersetzt wurden. Aber die neun Hindernisse und ihre Begleiterscheinungen sind auch Chancen. Sie dienen als Nahrung für die Introspektion und liefern uns Fragen – Fragen, die wir durch unsere Praxis beantworten können: Welches der neun oben aufgeführten Hindernisse hält meine Praxis (und mein Leben) davon ab, perfekt zu sein? Welche Symptome nehme ich wahr, die mich zurückhalten? Die Identifizierung dieser Symptome zeigt uns, was wir priorisieren sollten – wo wir anfangen sollten und wo wir vielleicht mehr Anleitung, Selbstanstrengung oder eine Änderung der Einstellung brauchen. In diesem Prozess beginnen wir, unsere eigene transformative Reise und die Wegweiser auf dem Weg klarer zu sehen.

Yoga erinnert uns daran, dass alles Leiden ein Lehrer ist und dass seine Lektionen zu unserer Erhöhung dienen.

Wir sollten nicht erwarten, dass reflektierendes Denken allein, ohne die anderen Praktiken des Yoga, automatisch produktive Veränderung bringt. In der Meditation sehen wir oft unsere Unzulänglichkeiten, aber auch unsere Potentiale. Existentiell verweilen wir auf halbem Weg zwischen beiden – wir sehen das endgültige Ziel, aber wir verfehlen es oft. Letztendlich stellt Yoga das Gleichgewicht auf unseren tiefsten Ebenen wieder her. In diesem Prozess lernen wir, aufmerksamer auf Buddhi, die Stimme unseres Herzens, zu hören – eine Stimme, die oft zwischen konkurrierenden inneren Perspektiven verloren geht. Yoga erinnert uns daran, dass alles Leiden ein Lehrer ist und dass seine Lektionen zu unserer Erhöhung dienen. Mit diesem Verständnis können wir beginnen, Perioden der Reflexion als Gelegenheiten zu sehen – Edelsteine des ruhigen, strahlenden Lichts.

 

Dieser Artikel erschien zuerst im Amrit Blog in der Wisdom Library des Himalayan Institute, USA.

Deutsche Übersetzung von Michael Nickel und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Himalayan Institute, USA.