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Kurzinterview mit Katrin Reich-Ufondu

Wir sprechen mit Katrin Reich-Ufondu, die als Yogalehrerin und Krebsbloggerin aktiv ist.

Katrin, Du bloggst zum Thema Krebs. Wie ist das Thema in Dein Leben gekommen?

Vor mehr als acht Jahren drängte sich der Krebs erstmals in mein Leben und überraschte mich eiskalt. Ich war so überzeugt davon, dass der Knoten in meiner rechten Brust gutartig sein würde, dass ich den Termin zur Befundbesprechung auf den Tag meines Umzugs gelegt hatte. Es wurde leider keine Formalie und so hatte ich 400 km Autobahnfahrt Zeit, mich zu sammeln und meine nächsten Schritte zu planen. Für mich und für meine Tochter, denn ich war im 4. Monat schwanger. Ich wurde operiert, im Anschluss daran begann die Chemotherapie. Zu diesem Zeitpunkt trat Yoga Nidra in Form einer Aufnahme meines jetzigen Lehrers Rod Stryker in mein Leben. Diese Übung wurde mein Anker in den dunkleren Momenten meiner Therapie. Meine Tochter, die wir Zoe, das Leben, nannten, kam gesund zur Welt und auch ich durfte mich geheilt fühlen. Ich begann mein Leben zu ändern, soweit, wie mir das mit zwei Kleinkindern eben möglich war und begann, tiefer in den Yoga einzutauchen, und das Hamsterrad meines vorherigen Lebens hinter mir zu lassen. Ich fühlte mich sicher.

So fiel ich vor drei Jahren wiederum aus allen Wolken, als ich erfuhr, dass mein überwunden geglaubter Brustkrebs die letzten Jahre dazu genutzt hatte, sich in meinen Knochen auszubreiten. Plötzlich war ich Palliativpatientin. Mit 41 Jahren und zwei immer noch ziemlich kleinen Kindern. Dabei fühlte ich mich an sich ziemlich fit, unterrichtete inzwischen fleißig und mit gewissen Ambitionen Yoga.

Wie bist Du mit Deinen Herausforderungen mit Krebs umgegangen und was hat Dir dabei aus der Yoga-Perspektive sonst noch geholfen?

Trotz all der Angst, der Ungewissheit und meiner allgemeinen Fassungslosigkeit spürte ich von Anfang an in mir die tiefe Gewissheit, wieder gesund zu werden. Ich meinte, die gleiche Stimme zu hören, die mir während der Tiefpunkte meiner Ersttherapie Mut zugesprochen hatte. Meine Yoga-Praxis der letzten Jahre half mir, den Ärztemarathon, der auf meine zweite Diagnose folgte, relativ ruhig zu absolvieren. Mir war klar, dass der Yoga eine wichtige Säule meiner Heilung sein würde. Ich war und bin in der glücklichen Lage, mir diese und andere (inzwischen virtuelle) Yoga-Fortbildungen leisten zu können. Für dieses Privileg bin ich sehr dankbar. So flog ich als Neu-Palliativpatientin fünf Wochen und unzählige Arzttermine später auf Empfehlung eines Herzensmenschens an einen ganz besonderen Ort, um meine Praxis zu vertiefen: Das Himalayan Institute in Honesdale, USA. Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. Ich sog die magische und nährende Energie dieses Ortes auf und verließ das Institut mit einem ganz besonderen Mantra im Gepäck, das mich bis heute begleitet. Es ist mein Anker, wenn die Äffchen im Oberstübchen lauter werden, wenn ich in manchen Situationen kurz davor bin, mich der Angst zu ergeben. Es ist meine Quelle, aus der ich schöpfe, um voller Freude zu leben trotz der Ungewissheit um meine Gesundheit.

Wie unterstützt Dich Deine Yoga-Praxis im Umgang mit Krebs?

Seitdem sind drei Jahre vergangen. Drei Jahre voller Höhen und Tiefen. Drei Jahren, in denen ich mir Stück für Stück mehr Freiheit und Eigenverantwortlichkeit im Umgang mit meiner Krankheit erarbeitet habe. Mit Hilfe des Yogas: Durch meine eigene Praxis, Weiterbildungen, den Austausch mit Gleichgesinnten und das Unterrichten, das ich die ganze Zeit über, wenn auch reduziert, beibehalten habe. In meiner Praxis nehmen Pranayama und Meditation mit stiller Mantra-Rezitation (Japa) mehr Raum ein als der physische Part, da mein Energielevel therapiebedingt schwankt. Ich bin sehr dankbar dafür, persönlich initiiert worden zu sein, dafür, dadurch Zugang zur Kraft und der Magie lebendiger Mantras erhalten zu haben. Überhaupt ist meine Praxis weicher und intuitiver geworden und hat mich gelehrt, dem Vertrauen, der Gnade, Raum zu geben. Dies war und ist ein Prozess, der mich, die personifizierte Ungeduld, hat spüren lassen, wie sich wahrhaft integriertes Wissen anfühlt. Zudem übe ich Yoga Nidra, vor allem in der Himalaya Tradition und Methoden der Selbstreflexion (Vichara), wie sie Rod Stryker lehrt. Vichara hilft mir, meine Herausforderungen im Leben jenseits von Yogamatte und Meditationskissen besser zu verstehen und dabei, authentisch zu wachsen.

Was bedeutet Deine Krebs-Erkrankung persönlich im größeren Kontext?

Ich sehe meine Krankheit als Tapas, als ultimative Aufforderung, wahrhaft authentisch dem Ruf meiner Seele zu folgen. Stück für Stück, ohne ein klares Ziel vor Augen zu haben, sondern im Vertrauen, ohne Angst davor, Fehler zu machen. Daher habe ich begonnen, mich auf Instagram zu zeigen, um anderen Palliativpatienten Mut zu machen, ihre Krankheit ganzheitlich zu betrachten. Ohne auf Followerzahlen zu schielen. Seit kurzem engagiere ich mich zudem ehrenamtlich für die Rexroth von Fircks Stiftung, die Kuren für an Krebs erkrankte Mütter anbietet, bei denen auch die mitbetroffenen Kinder psychologisch betreut werden. Über kurz oder lang werde ich sicher die beiden Bereiche „Yoga“ und „Krebs“ in einem Projekt verbinden. Aktuell stecke ich im Zertifizerungsprozess für meine ParaYoga Nidra-Ausbildung. Ich hätte da schon die ein oder andere Idee. Aber eins nach dem anderen.

Herzlichen Dank, liebe Katrin, für die persönlichen Einblicke in diesem Interview und für Deinen inspirierenden Einsatz!

 

Zur Person: Katrin Reich-Ufondu ist Yogalehrerin, Mutter und Krebsbloggerin. Sie lebt mit Mann, Kindern und zwei Katzen in der Nähe von Hamburg. Weitere Informationen über ihre Yogatätigkeit findest Du unter www.yogareich.de; als Bloggerin ist Katrin auf Instagram aktiv.

 

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Von Michael Nickel

Im letzten Gedankenfutter habe ich etwas vom „wunscherfüllenden Baum“ angedeutet. In der vedischen Mythologie und in der Yoga-Psychologie und Yoga-Philosophie wird dieser mythische Baum, der unsere Wünsche erfüllt, Kalpavriksha genannt. Vriksha ist das Sanskrit-Wort für Baum. Die Haltung des Baumes wird dementsprechend im Yoga als Vrikshasana bezeichnet. Das so nebenbei. Kalpa ist ein „mentales Konzept“. Man könnte auch sagen eine Idee oder ein Gedanke. Vielleicht kennst Du das Wort Sankalpa. Darin steckt genau dieses „mentale Konzept“. San ist ein Präfix, das „zusammen“ oder „auf gute Weise“ bedeutet. Ein Sankalpa ist also ein „konstruktives mentales Konzept“ – einfach gesagt: ein guter Vorsatz, dem unser Geist folgen soll.

Es gibt aber auch das Wort Vikalpa in der Yoga-Psychologie. Kurz gesagt ist es das genaue Gegenteil von Sankalpa. Vi ist ein Präfix, das „auseinander“, „hin- und her“ oder „zerteilen“ bedeutet. Dementsprechend ist Vikalpa ein „nicht-konstruktives mentales Konzept“. Auch die moderne Psychologie kennt dies: es wird dort „nichtkonstruktiver Glaubenssatz“ genannt. Und davon trägt jeder von uns eine Menge in sich …

Unsere Gedankenkonstrukte sind die Blüten auf unserem Baum des Lebens

Was hat das alles nun mit Kalpavriksha, dem wunscherfüllenden Baum zu tun? – Bildlich gesprochen geht es um den Baum der all unsere Kalpas – also unsere mentalen Konzepte oder schlicht Gedanken – als Blüten trägt. Wenn man so will ist es der Baum des Lebens in uns, der sich in vielfältiger Weise ausdrückt. Jede seiner Blüten hat wie im letzten Beitrag ausgedruckt seinen Raum (also seine „Eigenschaften“, wenn man so will), seine Zeit der Ausprägung und seine Ursache und Wirkumg also Karma). Das gilt sowohl für die offensichtlichen konstruktiven Sankalpa-Blüten als auch die nicht-konstruktiven Vikalpa-Blüten  und all die schwer einzuordnenden Blüten oder mentale Konstrukte, die irgendwo auf der Skala zwischen konstruktiv und nicht-konstruktiv stehen.

Ich vermeide hier bewusst die Worte „gut“ und „schlecht“. Zwar ist auch „konstruktiv“ und „nicht-konstruktiv“ wertend, doch eben nicht so stark. Um aktiv durch das Leben zu navigieren, bleibt uns letztenendes jedoch nichts anderes übrig, als unser eigenes Denken und Handeln auf der Skala zwischen konstruktiv und nicht-konstruktiv einzuordnen, um unsere Entscheidungen basierend auf dem aktuellen Stand unseres Bewusstseins zu treffen.

Warum heißt nun dieser Baum „wunscherfüllend“, wenn er doch konstruktive wie auch nicht-konstruktive Blüten treibt. Hier kommt eine Eigenschaft unseres Geistes zum tragen, die etwas schockierend klingt: Unser Geist „schenkt“ uns, worum auch immer wir ihn bitten! – „Moment mal!“, kannst Du hier sagen, „Ich bitte meinen Geist doch nicht um Vikalpas!“ – Die Antwort darauf lautet: „Das ist korrekt und zugleich auch nicht.“ – Es gilt also wieder mal ganz tantrisch: „Es kommt drauf an!“ – Auf was kommt es an? – Auf die Perspektive.

Die Krux der konstruktiven und nicht-konstruktiven Gedankenkonzepte in uns

Leider ist die Geschichte nicht ganz so einfach, wie es zunächst klingt. Oft wird es ja so dargestellt, dass wir uns nur genügend gute Vorsätze nehmen müssen und alles wird gut. Aber das stimmt eben nicht. Denn historisch gesehen hat jeder Mensch auch Vikalpas entwickeln, welche sehr tief sitzen. Jedes noch so konstruktive Gedankenkonzept findet so in uns eine „mentalen Gegenspieler“. Jegliche bewusst gewählten Sankalpas und unbewusst entwickelte Vikalpas arbeiten wie ein komplexes mechanisches Uhrwerk aus Zahnrädern miteinander und sie greifen ineinander. Dabei gilt: Je mehr Vikalpas aus unserer Vergangenheit vorhanden sind, desto öfter formen wir unbewusst noch mehr Vikalpas. Krass ausgedrückt: in dieser Situation geben wir unserem Geist die Freiheit, sich weitere nicht-konstruktive Gedanken zu wünschen und sich diesen Wunsch selber zu erfüllen … Wichtig dabei ist: Es gibt hierbei keine „Schuld“ für unsere Vikalpas. Dennoch können wir Verantwortung übernehmen und den Fokus darauf setzen Sankalpas zu pflegen.

Allerdings wird aus dem Baum des Lebens nicht von heute auf morgen jener wunscherfüllende Baum, der nur noch konstruktive Blüten trägt. Doch er hat das Potential dazu! Und hier fließt wieder die Analogie zum Gärtnern ein. Es existieren yogische Möglichkeiten, diesen Baum des Lebens im Garten unseres Geistes so zu hegen und zu pflegen, dass er immer mehr „herrliche Blüten“ – also konstruktive Kalpas, eben Sankalpas – trägt. Diese yogischen Techniken sind die Kontemplation (Vichara) und die Meditation im weitesten Sinne: von Atemachtsamkeit und Atemlenkung (Pranayama) über Sinnesrückzug (Pratyahara) und Konzentration (Dharana) zur eigentlichen völligen Absorption (Dhyana und Samadhi). Und auch Yoga Nidra fällt in diese Kategorie der Pflegemaßnahmen des Baumes des Lebens.

Zeit in „yogische Baumpflege-Maßnahmen“ investieren

So wie Obstbäume geschnitten werden, damit sie den angestrebten Fruchtertrag bringen – nicht zu viel, nicht zu wenig, nicht zu groß, nicht zu klein – so beschneiden die oben genannten yogischen „Pflegemaßnahmen“ oder Techniken kunstvoll den Baum des Lebens im Garten unseres Geistes, so dass immer mehr herrliche Sankalpas als Blütenpracht und Konsequenz daraus auftauchen – und immer weniger Vikalpas. Oder um es in der Analogie des Uhrwerks auszudrücken: wir wechseln die „Vikalpa-Zahnräder“ aus und ersetzen sie durch „Sankalpa-Zahnräder“. Dann läuft die Uhr nach und nach „konstruktiver“, um nicht zu sagen „besser“.

Lange Rede, kurzer Sinn: es lohnt sich, den Garten unseres Geistes zu hegen, zu pflegen und zu wässern. Darum nutze immer wieder das reichhaltige Angebot weit und breit, in den „Gärtnerclub“ eine der vielen Yoga– Stunden zu gehen, die überall auf der Welt für Dich da sind – für „Grundpflegemaßnahmen“ für den Garten Deines Geistes – und der Weg dahin führt über den Körper und die Energie in uns. Wenn das mal kein Grund ist, auf die Matte und das Meditationskissen zu gehen …

In diesem Sinne: weiter geht es im Club der mentalen Gärtner, lass Deinen Geist ergrünen und finde den wunscherfüllenden Baum in Dir.

Herzlichst,
Euer Michael

 


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Antworten von Pandit Rajmani Tigunait

 

Frage Agni-Magazin: Das Yoga Sutra unterstreicht Svadhyaya – das Selbststudium – als eine Schlüsselkomponente der spirituellen Praxis. Wie kann Svadhyaya mir helfen, Hindernisse hinsichtlich meines spirituellen Wachstums zu beseitigen?

 

Pandit Rajmani Tigunait : Das Wort Svadhyaya bedeutet „Studium des Selbst durch einen selbst oder durch Nachsinnen über die Schriften“. Praktisch gesprochen bedeutet es, Japa (mentale Wiederholung) der offenbarten Mantras zu praktizieren, die wir von einem Lehrer durch Einweihung erhalten, und über die Anleitung zu kontemplieren, die wir von unserem Lehrer oder von den Lehren in den authentischen Schriften erhalten.

Oft verpflichten wir uns zu einer spirituellen Disziplin, ohne genügend Wissen über uns selbst, unsere Ziele und die Mittel zu haben, mit denen wir versuchen, unsere Ziele zu erreichen. Aus diesem Grund werden wir entmutigt, wenn während unserer Praxis Hindernisse auftauchen. Weil wir nicht genügend Wissen haben, können wir die Hindernisse oft nicht einmal erkennen.

Selbst wenn wir sie einmal erkannt haben, wissen wir nicht, wie wir sie überwinden können, weil wir ihre Ursache nicht kennen. Wir werden frustriert und entmutigt und geben der Praxis, dem Lehrer und uns selbst die Schuld. Indem wir Svadhyaya in unsere tägliche Praxis einbauen, erwerben wir die Fähigkeit, die Hindernisse zu erkennen, bevor sie auftauchen. Weiterlesen

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Von Rolf Sovik

Im vorigen Beitrag der Serie „Yoga als Heilkunst“ haben wir uns mit der Natur der Schmerzen auseinandergesetzt. Nun wenden wir uns den Werkzeugen der Heilung zu. Unter den sechs Darshanas (Schulen) der indischen Philosophie bietet Yoga die Werkzeuge – Haltungen, Atemtraining, meditative Methoden und Selbstreflexion – um sich aktiv mit dem inneren Leben auseinanderzusetzen. Daher wird Yoga auch als Moksha Shastra, als „Befreiungslehre“ bezeichnet. Aber Befreiung wovon? Behalte im Hinterkopf, dass Yoga, auch wenn es als Moksha Shastra beschrieben wird, kein Fluchtweg ist. Yoga sagt uns nicht, dass wir uns von der Welt abwenden oder menschliche Angelegenheiten vermeiden sollen. Vielmehr ruft Yoga zu Selbstanstrengung und Selbstreflexion auf. Sein Ziel ist es, in den Worten der Bhagavad Gita, zu einer „Abkopplung“ von der eigenen schmerzhaften „Verbindung mit dem Leiden“ zu gelangen (Bhagavad Gita 6.22-6.23). Dies ist die zugrundeliegende Bedeutung von Moksha und das Ziel aller Praxis – die Befreiung von Schmerz und Leiden.

Vertrauen und der innere Heiler

Die Reise zu einer solch bemerkenswerten neuen Perspektive ist eine, auf der wir uns allmählich selbst transzendieren. Yoga hilft, diese Art von Veränderung herbeizuführen – aber wie? Welche Verschiebungen machen neues Lernen durch Yoga möglich? Wie wir in früheren Beiträgen zu Yoga als Heilkunst gesehen haben, sind die Bedürfnisse, die uns auf einen yogischen Weg bringen, vielfältig. Sie beinhalten das Bedürfnis nach Heilung, nach persönlicher Entfaltung und nach spirituellem Erwachen. In jedem Fall wird gesagt, dass Shraddha (Vertrauen) die Anfänge des Pfades charakterisiert. Selbst die Behebung kleinerer Leiden (ein Schnitt im Finger oder eine laufende Nase) erweckt das Vertrauen – Vertrauen an die Kraft und die Gegenwart eines inneren Heilers. Mit jeder Demonstration von wiederhergestellter Gesundheit und wiedergewonnener Kraft, gewinnen wir noch mehr Gewissheit, dass es eine heilende Präsenz in uns gibt. Und indem wir uns dem Gleichgewicht zuwenden und uns mit so grundlegenden Werkzeugen wie Ruhe, Atmung und ruhigem Loslassen ausrichten, laden wir diese Kraft der Heilung ein, nach vorne zu kommen.

Selbst wenn die Gesundheit ernsthaft untergraben ist – herausgefordert durch chronische Krankheit, emotionale Not oder starke Schmerzen – verankert der Glaube an den Heilungsprozess unsere Suche nach Erleichterung und weckt das Vertrauen in die Wirksamkeit der Yoga-Techniken.

Für die meisten von uns beginnen diese Techniken mit Asana, einer Reihe von Körperhaltungen und unterstützenden Praktiken, die das Bewusstsein für den physischen Körper wecken. Eine gut durchdachte Asana-Routine kann grundlegende Veränderungen in der Art und Weise bewirken, wie wir auf Schmerzen reagieren. Mit der Zeit können ruhigere Reaktionen, stabilere Stimmungen und vorteilhafte Veränderungen im Lebensstil Teil einer neuen Fähigkeit werden.

Es ist unvermeidlich, dass der Fortschritt im Yoga zu dem Wunsch nach mächtigeren Heilungswerkzeugen führt. Yoga-Anleitungen scheinen oft genau das zu bieten – Wege, unsere Grenzen zu erweitern. Aber während anspruchsvolle Haltungen uns verlocken mögen, sind weniger anspruchsvolle Strategien oft besser für die Heilung geeignet. Ein praktischer Ansatz ist es, eine erholsame Einstellung zur Asana-Arbeit einzunehmen. Langsames und geduldiges Dehnen, systematisches Kräftigen der Muskeln, Koordinierung der Bewegung mit der Atembewusstheit, Aufmerksamkeit für die energetischen Dimensionen der Praxis – all diese Strategien helfen.

Rahmen für die Selbstreflexion

Ein weiterer Ansatz ist die Selbstreflexion. Das spirituelle Leben ist von Natur aus reflektierend. Seine Themen – darunter Gesundheit und Heilung – veranlassen uns, verschiedene Aspekte der Yoga-Lehre zu nutzen, um uns selbst zu untersuchen. Mit der Zeit führt diese Selbstanalyse zum Erkennen von Samskaras (Gewohnheitsmustern), die unsere tägliche Routine formen und unsere Wünsche befeuern. Yoga-Schüler sind besonders daran interessiert, diese Muster des inneren Lebens zu verstehen und so zu lernen, über sie und ihre negativen Folgen Herr zu werden.

Eine besonders nützliche Strategie ist es, die Werkzeuge der Kontemplation und Selbstreflexion zu pflegen, die im Yoga-System selbst eingebaut sind. Ein Beispiel für diese Werkzeuge ist die Sammlung der Yamas und Niyamas, die Einschränkungen und Gebote, die die Grundlage und die ersten beiden Glieder des Raja Yoga sind (Yoga Sutra 2.29).

Yamas

  • Nicht-Verletzen
  • Wahrhaftigkeit
  • Nicht-Stehlen
  • Mäßigung der Sinne
  • Nicht-Besitzergreifung

Niyamas

  • Reinheit
  • Zufriedenheit
  • Entschlossene Selbstanstrengung
  • Selbst-Studium
  • Vertrauensvolle Hingabe an das Unendliche

Das Bemühen, die Yamas und Niyamas zu praktizieren, ist ein wesentlicher Bestandteil des yogischen Prozesses der Introspektion. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit bewusst zur Ruhe bringen und sie nach innen richten, um darüber zu kontemplieren, wie wir diese zehn Verpflichtungen praktizieren oder nicht praktizieren, wird sie ganz natürlich zum feinsten Teil des Geistes, die Buddhi, gezogen. Dort, sensibel für das Reine und das Unreine, leitet uns die Buddhi. Es gibt uns ein inneres Gespür dafür, ob wir auf dem richtigen Weg sind, ob wir in uns selbst zentriert sind – selbst im Angesicht konkurrierender Ablenkungen – oder ob wir beginnen, vom Pfad abzuweichen und was wir tun müssen, um wieder in die Mitte zu kommen. Wenn wir uns an dem orientieren, was wir als weise und wahr empfinden, dann wird die Selbstreflexion zu Ausgeglichenheit und Selbstverständnis führen. Wenn wir uns beispielsweise wütend fühlen, können wir auf zwei Arten reagieren: wir können reagieren und zurückschlagen, was noch mehr Schaden anrichtet, oder wir können zurücktreten, ein paar Mal tief durchatmen, weggehen und darüber nachdenken, was unseren Ärger ausgelöst hat und warum – und dann daran arbeiten, ihn zu lösen.

Du kannst eine ähnliche Praxis der Kontemplation kultivieren, basierend auf der Liste der neun Hindernisse (Antarayas) und der sie begleitenden Symptome, die im Yoga Sutra 1.30-1.31 zu finden sind. Hier ist die Liste von allen:

Hindernisse

  • Krankheit
  • Mentale Trägheit
  • Zweifel
  • Nachlässigkeit
  • Trägheit
  • Unfähigkeit, sich von Sinnessehnsüchten zurückzuziehen
  • Festhalten an Missverständnissen
  • Unfähigkeit, Fortschritte zu erreichen
  • Unfähigkeit, den erreichten Fortschritt zu bewahren

Symptome

  • Schmerz
  • Entmutigung
  • Unruhige Gliedmaßen
  • Störung der Einatmung
  • Störung der Ausatmung

Diese Hindernisse weisen auf Blockaden im Entfaltungsprozess des Yoga hin. Sie repräsentieren Umstände, in denen Gleichmut und Konzentration abgenommen haben und durch eine oder mehrere umherstreifende Tendenzen des Geistes ersetzt wurden. Aber die neun Hindernisse und ihre Begleiterscheinungen sind auch Chancen. Sie dienen als Nahrung für die Introspektion und liefern uns Fragen – Fragen, die wir durch unsere Praxis beantworten können: Welches der neun oben aufgeführten Hindernisse hält meine Praxis (und mein Leben) davon ab, perfekt zu sein? Welche Symptome nehme ich wahr, die mich zurückhalten? Die Identifizierung dieser Symptome zeigt uns, was wir priorisieren sollten – wo wir anfangen sollten und wo wir vielleicht mehr Anleitung, Selbstanstrengung oder eine Änderung der Einstellung brauchen. In diesem Prozess beginnen wir, unsere eigene transformative Reise und die Wegweiser auf dem Weg klarer zu sehen.

Yoga erinnert uns daran, dass alles Leiden ein Lehrer ist und dass seine Lektionen zu unserer Erhöhung dienen.

Wir sollten nicht erwarten, dass reflektierendes Denken allein, ohne die anderen Praktiken des Yoga, automatisch produktive Veränderung bringt. In der Meditation sehen wir oft unsere Unzulänglichkeiten, aber auch unsere Potentiale. Existentiell verweilen wir auf halbem Weg zwischen beiden – wir sehen das endgültige Ziel, aber wir verfehlen es oft. Letztendlich stellt Yoga das Gleichgewicht auf unseren tiefsten Ebenen wieder her. In diesem Prozess lernen wir, aufmerksamer auf Buddhi, die Stimme unseres Herzens, zu hören – eine Stimme, die oft zwischen konkurrierenden inneren Perspektiven verloren geht. Yoga erinnert uns daran, dass alles Leiden ein Lehrer ist und dass seine Lektionen zu unserer Erhöhung dienen. Mit diesem Verständnis können wir beginnen, Perioden der Reflexion als Gelegenheiten zu sehen – Edelsteine des ruhigen, strahlenden Lichts.

 

Dieser Artikel erschien zuerst im Amrit Blog in der Wisdom Library des Himalayan Institute, USA.

Deutsche Übersetzung von Michael Nickel und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Himalayan Institute, USA.