Das Geheimnis der Yoga Sutras – Interview mit Pandit Rajmani Tigunait (Teil 4)

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Lesedauer 7 Minuten

Fortsetzung: Pandit Rajmani Tigunait im Interview über die Yoga Sutras, seinen Kommentar, seine Kurse und die Mission des Himalayan Institute.

Interviewfragen von Michael Nickel

Im vorigen Teil des Interviews mit Panditji geht es um das Konzept von Samadhi und um die Wichtigkeit der Yamas und Nyamas. Oder springe zum ersten Teil des Interviews.

 

Lassen Sie uns einen Blick auf Vyasas Kommentar werfen, der Ihrem Kommentar zu Grunde liegt. Dieser Kommentar ist ja sehr alt. Was ist so besonders an Vyasas Sicht auf die Yoga Sutras?

Vyasas Kommentar ist in der Tat etwas Besonderes und zwar aus zwei Gründen. Erstens ist es überhaupt der älteste Kommentar. Zweitens ist er der praktischste von allen. Es gibt viele andere Kommentare, beispielsweise von Vachaspati Mishra oder Vijnanabhikshu und vielen, vielen anderen Leuten. Was bei allen anderen Kommentaren auffällt ist, dass jeder eine eigene Haltung hat, eine Tendenz oder Einfärbung. Man kann klar sehen, wie einige Leute Patanjalis Yoga Sutras genutzt haben, um ihrer eigenen Agenda zu nutzen. Vyasa dagegen dient keiner Agenda. Sein Kommentar hat nur einen Zweck: auszuarbeiten, was Patanjali in den Yoga Sutras schreibt. Dazu ist Vyasas Kommentar sehr praxisorientiert.

Was jedoch auch bei Vyasa ein Problem darstellt ist die Sprache, die natürlich altertümlich ist. Obwohl Vyasas Kommentar sehr ausgefeilt ist, kommt hinzu, dass er für die moderne Zeit, für das 21. Jahrhundert, nicht ausgefeilt genug ist, um die Yoga Sutras aus heutiger Sicht völlig zu verstehen. Wahrscheinlich war der Kommentar zu Vyasas Zeit absolut in Ordnung. Die Leute seiner Zeit waren mit Sanskrit viel vertrauter und es gab methodische Studien solcher Schriften. Heute jedoch haben die Leute, die die Yoga Sutras studieren, nicht unbedingt Schritt eins, Schritt zwei, Schritt drei und so weiter methodisch vorbereitet, um dann bei Schritt sechs und sieben anzukommen, den die Yoga Sutras eigentlich darstellen. Die Leute heutzutage gehen direkt in die Yoga Sutras.

Dazu kommt, dass sich in diesen tausend, tausendfünfhundert oder sogar zweitausend Jahren, seit Vyasa seinen Kommentar geschrieben hat, sehr viele Dinge verändert haben. Beispielsweise in unseren Sozialstrukturen, den sozialen und religiösen Werten. Daher gibt es eine große Diskrepanz zwischen dem Kontext, in dem Vyasa schrieb, und dem heutigen Kontext, in dem wir den Kommentar studieren. Was ich versucht habe ist, dieselbe Botschaft zu transportieren, die Patanjali und Vyasa verbreitet haben. Jedoch habe ich dabei immer die moderne Zeit und den modernen Sucher im Hinterkopf gehabt.

 

Eine persönliche Frage: Haben Sie eine Lieblings-Sutra? Und wenn ja, wären Sie bereit, das mit uns zu teilen?

(Lacht herzhaft und zögert kurz) Weißt du, was mich wirklich sehr nahe zu meinem Selbst gebracht hat, war Sutra 1.36. Das passierte in meinem eigenen persönlichen Kontext. Ich ging durch eine sehr, sehr ausgeprägte Periode von Traurigkeit und Schmerz.

Da war Trauer – meine Sorgen und der Schmerz waren vollständig von tiefer Trauer begleitet, von Ärger, Angst, Unsicherheit und auch von einer Wahrnehmung der Machtlosigkeit. Sutra 1.36 wurde mir genau in dieser Zeit meines Lebens zuteil.

Die Praxis, die sich in Sutra 1.36 findet, half mir, meine persönlichen Probleme zu überwinden, also die Sorgen, Trauer, Angst, Zweifel, Verwirrung und diese subjektive Machtlosigkeit. (Lächelt mit feuchten Augen) Dementsprechend hoffe ich, dass man versteht, warum ausgerechnet Sutra 1.36 meine Lieblings-Sutra ist. Aber es gibt viele andere Sutras, die genauso wichtig sind, wie Sutra 1.36! trotzdem ist das mein Liebling. Es ist ähnlich wie bei einem Küken, das schlüpft: Wen oder was auch immer dieses kleine Küken zuerst wahrnimmt, erkennt es als Mutter. (Lächelt gerührt) Als ich also aus meiner schmerzhaften Umwelt herauskam und irgendwie meine Augen öffnete, da fand ich Yoga Sutra 1.36. Es ist wohl natürlich, dass ich eine spezielle Liebe für diese Sutra habe (lacht herzlich).

 

Danke für die Analogie und dass Sie das mit uns geteilt haben! Lassen Sie uns nochmal auf die veränderten Zeiten zurückkommen. Die Art und Weise wie die Yoga Sutras heutzutage unterrichtet werden, ist definitiv anders als in früheren Zeiten. Sie haben das erste von vier Büchern bereits publiziert und es läuft dazu ein sogenannter Yoga Sutra Master Course, sowohl live am Himalayan Institute in Honesdale, USA, als auch als Webinar online. Würden Sie uns das etwas erläutern?

Wenn man ein Buch schreibt, muss man sehr bündig und präzise sein und manchmal ist man dabei in einer völlig eigenen Gedankenwelt. Wenn man andererseits im Vortragssaal unterrichtet, sind die Studenten anwesend und es geschehen Interaktionen. Außerdem herrscht ein ganz einzigartiges Milieu, wenn da mehr als einhundert Studenten sitzen. Einerseits besteht ein kollektives Bewusstsein der Studenten, das ein bestimmtes Umfeld für den Lehrer erzeugt. Zugleich ist jeder Student ein Individuum, daher ist das Unterrichten im Vortragssaal eine einzigartige Erfahrung. Ich spreche ja sowohl alle einhundert Leute als Individuen an, als auch ein kollektives Bewusstsein, was von diesen einhundert Anwesenden erzeugt wird. Gleichzeitig ist dieses kollektive Bewusstsein repräsentativ für das kollektive Bewusstsein aller Studenten in der ganzen Welt. Daher dachte ich mir, lass es mich sowohl als Person vor Ort unterrichten als auch online.

 

Was sind die Themen und auch die Intention hinter diesen Kursen?

Ich habe vier große Themen eröffnet: Erstens, Meistere den Geist: Die Annahme ist folgende: Wenn du keinen klaren und ruhigen Geist hast, wenn du nicht die Dynamik deines Geistes verstehst und wenn du die tieferen Kräfte in dir nicht kennst, die dich zu einer bestimmten Denkweise bewegen, dann wird es für dich sehr schwierig sein, deine Yoga Sadhana, deine Yoga-Praxis zu vollenden. Darum geht es im ersten Seminar.

Zweitens, Kehre das Karma-Rad um: So viel hat sich in unserem Geist abgelagert in Form subtiler Eindrücke. Alles, was wir machen, bleibt in unserem Geist in Form von Erinnerungen, subtilen Eindrücken. Wie uns das beeinflusst, das versuche ich im zweiten Seminar zu beschreiben.

Dann kommt in Seminar drei mehr zum Thema Sadhana, also zur Yoga-Praxis, mehr über Meditation. Seminar vier ist dann das Gesamtbild in der Praxis, inklusive Sutra 1.36. Der gesamte Kurs erzeugt also eine komplette Struktur für unser eigenes, persönliches Studium und unsere Streben nach Meditation und Samadhi. Was immer danach kommt, in Kapiteln zwei, drei und vier der Yoga Sutras, wird dann sehr einfach zu verstehen sein. Die Leute werden dann nicht mehr allzeit von einem Lehrer abhängen. Wenn man einmal die Grundlagen von Yoga verstanden hat, wir es viel einfacher, dessen subtilen Nuancen zu verstehen. Unter dieser Prämisse habe ich den Kurs aufgebaut.

 

Wird es zu den kommenden Yoga Sutra-Bänden ein ähnliches Setup von Wochenend- und Online-Kursen geben?

Ich denke schon. Ich denke, ich werde es ein klein wenig anders anbieten. Etwas längere Seminare, beispielsweise für vier Tage anstatt für ein Wochenende. Die Leute haben doch Probleme, für ein Wochenende einzufliegen. Sie kommen Freitagabend und Sonntag ist es vorbei. Wenn sie also innerlich gerade angekommen sind, ist es schon wieder Zeit zu gehen. Die Teilnehmer kommen ja gewöhnlich von weit her. Daher werden wir es zukünftig als einen Block oder vielleicht zwei Blöcke im Jahr anbieten, die dafür länger sein werden, beispielsweise von Mittwoch bis Sonntag. Und auch wenn ich es wieder persönlich vor Ort unterrichten werde, wird alles online verfügbar sein, so dass die Leute später noch einmal hineinsehen können, um es nochmals zu studieren und ihre Notizen zu machen. So wird es wohl in den zukünftigen Kursen laufen.

 

Im fünften und letzten Teil des Interviews mit Panditji erläutert uns Panditji seine persönliche Mission und die Mission des Himalayan Institute.

Dieses Interview erschien zuerst in gekürzter Version im Yoga Aktuell 92 (2015). Das Buch, über das im Interview gesprochen wird, „Das Geheimnis der Yoga Sutras – Samadhi Pada“ ist im Frühjahr 2019 im Agni Verlag auf deutsch erschienen und ist über den Agni Verlag Webshop, über unseren Amazon-Verlagsshop und natürlich im lokalen Buchhandel erhältlich. Das Buch wird inzwischen in vielen Aus- und Weiterbildungen für Yoga-Lehrer eingesetzt und wenn Du ein Interesse an authentischer Yoga-Philosophie hast, ist dieses Buch eine tiefe Bereicherung und Inspiration für den Sucher in Dir.

Das Interview führte Michael Nickel. Fotos ebenfalls von Michael Nickel.

 

Pandit Rajmani Tigunait
Pandit Rajmani Tigunait

Pandit Tigunait, der spirituelle Leiter des Himalayan Institutes (USA), ist der Nachfolger von Swami Rama aus dem Himalaya. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert lehrt und unterrichtet er weltweit und ist Autor von mehr als 15 Büchern, darunter seine kürzlich erschienenen "The Secret of the Yoga Sutra" ("Das Geheimnis des Yoga Sutra" im Frühjahr 2019 auf deutsch bei Angi Verlag) "The Practice of the Yoga Sutra" und seine Autobiographie "Touched by Fire: The Ongoing Journey of a Spiritual Seeker". Pandit Tigunait hat zwei Doktortitel: einen in Sanskrit von der University of Allahabad in Indien und einen in Oriental Studies von der University of Pennsylvania in USA. Die Familientradition gab Pandit Tigunait Zugang zu einer großen Bandbreite spiritueller Weisheit, die sowohl in den schriftlichen als auch in den mündlichen Traditionen bewahrt wurde. Bevor er seinen Meister traf, studierte Pandit Tigunait Sanskrit, die Sprache der alten Schriften Indiens, sowie die Sprachen der buddhistischen, Jaina und zoroastrischen Traditionen. 1976 ordinierte Swami Rama Pandit Tigunait in die 5.000 Jahre alte Linie der Himalaya-Meister.

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