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Lesedauer 6 Minuten

Von Rod Stryker

Tantra als Wissenschaft

Lasst uns damit beginnen, ein paar Kernideen über Tantra darzulegen. Jeder von uns wird zu einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Bedingungen geboren. Wenn du eher eine westliche Denkweise hast, denkst du bei diesen Bedingungen nicht unbedingt an den Einfluss vergangener Leben oder an die Sterne oder Planeten zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern eher an Bedingungen, die mit unseren Eltern oder der Kultur, in der wir aufgewachsen sind, oder einfach mit dem Timing zusammenhängen. Wir wurden alle in Bedingungen hineingeboren, die für jeden von uns einzigartig sind, und diese Bedingungen haben unseren Fähigkeiten, unserer Wahrnehmung und unserer Beziehung zu uns selbst und anderen bestimmte Grenzen gesetzt. Tantra ist die Wissenschaft der Überwindung dieser Grenzen. In den einfachsten Worten ausgedrückt, ist es genau das, worum es im Tantra geht.

Tantra ist eine Wissenschaft – das mag einige überraschen. Eine der Bedeutungen des Wortes Tantra ist „Abhandlung“, und das beschreibt es treffend als einen massiven Wissenskörper. Tantra verlangt nicht, dass du endlose Stunden und Jahre mit dem Studium von Büchern zu diesem Thema verbringst. Vielmehr ist es von seinem Wesen her praktisch. Tantra bedeutet, dass, wenn du eine bestimmte Sache tust (eine Handlung oder Praxis), sie spontan eine höhere Ebene des Bewusstseins oder ein größeres Gefühl der Freiheit hervorruft. Wenn du eine tantrische Technik ausführst, erzeugt sie automatisch eine positive Wirkung, eine spontane Wirkung, unabhängig von deinen Überzeugungen. Das ist es, was sie von Natur aus tantrisch macht.

Wenn du dir den ältesten, einflussreichsten, reinsten Yoga-Text, das Yoga Sutra von Patanjali, ansiehst, wirst du feststellen, dass er voll von tantrischen Praktiken ist. Das dritte Kapitel besteht fast vollständig aus tantrischen Praktiken. Im ersten Kapitel, dem sechsunddreißigsten Sutra, wird über die Meditation auf ein Licht im Herzen gesprochen, das jenseits allen Leids ist. Das ist eine tantrische Praxis – eine Praxis der Verbindung mit einer Quelle, die jenseits liegt. Tantra und Yoga teilen viele Prinzipien, aber in letzter Zeit wurden die beiden Traditionen voneinander getrennt. Diese Trennung ist jedoch falsch.

Gegenüber der subtilen Realität erwachen

In „Mein Leben mit den Meistern des Himalayas“ schreibt Swami Rama: „In der Tiefe der Stille ist die Quelle der Liebe verborgen.“ Inwieweit finden wir Stille in unserem Leben? Tantra und Yoga zusammen ermöglichen uns den Zugang zur Welt der Stille und dem außergewöhnlichen Wissen, das sie uns vermitteln kann. Was Tantra vielleicht zu einem einzigartigen spirituellen System macht, ist sein Hinweis darauf, dass unsere Lebenserfahrung nicht nur vom Verstand, von unserer Kultur, unseren Eltern und Freunden und von der Zeit oder Ära, in der wir leben, geprägt ist. Sie wird tatsächlich von unserer pranischen Landschaft diktiert – von unserer Energie. Tantrische Seher, oder Rishis, waren in der Lage, in die Landkarte des subtilen Körpers, des Prana-Körpers, zu schauen. Um zu beginnen, die Quelle der Liebe zu entdecken, müssen wir die Tiefen der Stille ausloten und entdecken, was dort liegt.

Diese Erkundung, die der Beginn der Selbstmeisterung ist, unterscheidet sich von dem psychologischen Ansatz der Selbsterkenntnis und des Selbstverständnisses, wie er in der westlichen Welt gemeinhin verstanden wird. Unsere Erfahrung des Lebens ist nicht nur die Art, wie wir es sehen, sondern auch das, was wir darin tun, was wir uns vorstellen, dass es möglich ist. Es wird tatsächlich nicht nur von unserer Wahrnehmung, sondern auch von unserer Energie geformt. Indem wir uns des Inhalts unseres Geistes bewusst werden (und ich benutze diesen Begriff, um nicht nur auf unser Gedächtnis, unser Ego und unsere psychologische Verfassung anzuspielen – die westliche Auffassung von Geist – sondern auch die Gesamtheit der Erfahrungen aus diesem und früheren Leben einzubeziehen), können wir beginnen, unsere Energie zu transformieren. Dieses Erwachen gegenüber der subtilen Realität ist das, worum es im Tantra Yoga geht.

Swami Satchidananda Saraswati, ein scharfsinniger und vollendeter Yoga-Meister, hat gesagt: „Wenn du wahre Sensibilität entwickelst, wird die Welt für dich ein offenes Buch sein, das auf jeder Seite neue Geheimnisse und wunderbares Wissen offenbart.“ Er sprach über die Welt des Prana, die Welt der Energie. Alle großen Weisen versuchten uns zu vermitteln, dass die Welt, die wir sehen, kaum die Spitze des Eisbergs der Existenz ist. Kaum die Spitze. Obwohl es nicht sichtbar ist, ist Prana überall und belebt alles – bekannt und unbekannt. Alles, was wir sehen, hören, schmecken, berühren, riechen und spüren, ist von Prana beseelt. Wie schwer ist es zu erreichen? Das einfache Prinzip ist, dass je ruhiger unser Geist ist, desto leichter ist der Zugang zu Prana. Und je öfter wir darauf zugreifen, desto einfacher ist es, unseren Geist zur Ruhe zu bringen.

Sich mit dem Feld von Prana verbinden

Der große Mechanismus, um sich mit diesem Prana-Feld zu verbinden, was dann allmählich unsere Sensibilität und unser transformatorisches Potential erhöht, ist nicht unser Atem, sondern unser Geist. Die Fähigkeit des Geistes, sich mit diesen subtilen Feldern zu verbinden, ist vielleicht sein größtes Geschenk. Der Prana-Körper wird in der westlichen Mystik als Äther-Körper bezeichnet. Aus tantrischer Sicht besteht die Hauptaufgabe des Äther-Körpers darin, Zugang zu der Qualität der Lebendigkeit zu bekommen, der Qualität der Vitalität, die die negativen Auswirkungen eines falschen Lebens zerstreuen kann. Die Rolle des Prana– oder Äther-Körpers ist es, die Auswirkungen unserer Gedanken, Emotionen, ungesunder Ernährung und falscher Lebensweise auf den physischen Körper zu reduzieren, so dass wir ihn erhalten können, nicht unbegrenzt, aber für die Zeit, in der wir Leben haben – ihn erhalten, so dass wir eine vitale, kreative Kraft sein können.

Wie greifen wir auf den subtilen Körper zu? Es ist nicht so kompliziert oder so hochtrabend wie es klingt. Es nennt sich Visualisierung. Imagination und Visualisierung. Wenn ich mir vorstelle, dass es, sagen wir mal, ein Lichtfeld um meinen Körper herum gibt, ist das rein imaginär? Ist es nur in meinem Geist? Nein. Dieser pranische Bereich existiert im Geist, im Körper und darüber hinaus. Sobald der Geist beginnt, sich einem Gefühl oder einem Bild zuzuwenden, das mit diesen subtilen Bereichen verbunden ist, bezieht man sich automatisch auf sie.

Wie ich bereits ausführte, wurde Yoga zu einem großen Teil nur zur Selbstverbesserung genutzt – damit sich unser Körper besser fühlt, wir gesünder sind und weniger Stress empfinden. Was wir verloren haben, ist die Idee, dass ich mich selbst verbessere, wenn ich an einen anderen denke und Mitgefühl für einen anderen aufbringe. Wenn ich einem anderen Menschen helfe, werden wir buchstäblich unzertrennlich. Das ist es, was Tantra lehrt, und es ist der Schlüssel zu einem expansiveren Leben, das uns selbst und der ganzen Welt zugute kommt.

 

Dieser Artikel erschien online zuerst  in der Wisdom Library des Himalayan Institute, USADiscovering the Sacred Within © 2017 Himalayan Institute, Honesdale, PA, USA. Deutsche Übersetzung von Michael Nickel. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Himalayan Institute USA und von Rod Stryker.

 

Rod Stryker
Rod Stryker

Rod Stryker ist der Gründer von ParaYoga® und Autor von "The Four Desires: Creating a Life of Purpose, Happiness, Prosperity, and Freedom". Er ist weithin anerkannt als eine der führenden Autoritäten in Nordamerika für die alten Traditionen von Yoga, Tantra und Meditation. Rods Lehre verflechten seine Tiefe des Verständnisses, seine persönliche Erfahrung und seine Fähigkeit, die alten Lehren und Praktiken für Schüler aller Stufen zugänglich zu machen. Rod bildet seit über 35 Jahren Lehrer aus und leitet Retreats, Workshops und Trainings weltweit. Er lebt in den Bergen von Colorado.

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