Martina Herbach: Sind wir uns der Sterblichkeit bewusst, lieben und leben wir anders!
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Interview mit Martina Herbach
In welcher Form arbeitest Du mit Menschen?
Ich bin hauptberuflich Krankenschwester in der Anästhesie-Abteilung eines Akutversorger-Krankenhauses in Thüringen. Dort, wo sich gerade ein Covid-19-Hotspot entwickelt und wir täglich mit positiven Patienten in Kontakt sind. Durch den Pandemie-Modus hilft unsere Abteilung im intensivmedizinischen Bereich aus. Nebenberuflich bin ich Yoga-Lehrerin und Mutter von zwei Töchtern. Im Zeit und Raum für Yoga, meinem kleinen Reich, biete ich Gruppenangebote, individuelle Eins-zu-eins-Angebote, Workshops, Waldbaden und Yoga an.
Ich kann mein schulmedizinisches Wissen gut mit dem Yoga vereinen. Viele physiologischen und psychologischen Aspekte lassen sich verbinden und somit in unsere Gesellschaft integrieren. Ich arbeite viel im energetischen Bereich, um ein Gesundheitssystem anzubieten, das den Schwerpunkt auf das bewusste, achtsame Leben legt, auf Einheit und Verbundenheit zur Natur. Yoga des Herzens, um sich wahrzunehmen, zu fühlen, Selbstheilungskräfte und Immunsystem zu stärken.
Als was siehst Du Dich in dieser Funktion?
Ich sehe mich als ein Puzzle-Teil im großen Ganzen. Ein lichtvolles Puzzle-Teil als Gleichgesinnter. Ich kann mich in viele Erkrankte hinein fühlen. Früher war das ein Fluch für mich, da ich mit jedem Patienten und jedem Angehörigen mit-gelitten habe. Es ging so weit, dass ich dadurch sehr krank wurde. Ich habe alles mit nach Hause genommen, war zu empathisch und konnte nie abschalten. Ich verlor meine innere Balance und somit meldeten sich Angst, Panik, Burnout, Depressionen, Herzrasen, Rückenschmerzen und vieles mehr.
Ich war mit 20 Jahren kaputt. Mir ging es so schlecht, dass ich handeln musste. Ich hinterfragte mich und mein Leben, schaute mir meine tiefsten Wunden an und begann zu beten. Irgend eine Energie hat mich mitgenommen, um Yoga zu erleben und diese Energie war so gewaltig, dass ich mich Schritt für Schritt wieder ins Leben kämpfte. Es war ein langer Prozess. Heute, mehr als 10 Jahre später kann ich sagen: Mein Leben hat sich grundlegend verändert und dafür bin ich unendlich dankbar.
Ich war immer sehr offen mit meinen Sorgen. Mir war bewusst, ich muss den Menschen zeigen, dass es keine Schande ist, in diesem Zustand zu sein, dass es immer einen Weg gibt, wenn man nur will und sehr bald gab es sehr viele Menschen, die mich um Rat baten. Der Yoga-Weg kam zu mir und begleitet mich. Yoga hat mir Licht gegeben und dieses Licht möchte ich weitergeben, sei es nur, um DA zu sein!
Der Yoga begleitet mich täglich im Krankenhausalltag, um das Personal daran zu erinnern, zu lächeln und alles nicht zu ernst zu nehmen. Jeder Tag ist irgendwann vorüber, nichts bleibt, wie es ist und um uns daran zu erinnern, warum wir diesen Job machen. Auch die Patienten profitieren wohl oder übel, denn kleine interessierte Fragen, die zum Nachdenken anregen, kann ich mir oft nicht verkneifen. Die Patienten mit ihren Sorgen und Ängsten ernst nehmen, präsent zu sein, Mut auszusprechen, Anteilnahme, Interesse, positive Vibes versprühen – all das ist für mich Yoga. Mag sein, dass jetzt jeder denkt, das ist doch selbstverständlich. Nein, ist es leider nicht mehr, der Krankenhausalltag ist ein einziges Chaos und es bleibt kaum Zeit für diese Dinge.
Wenn Du an Deine Berufung oder Dein Dharma denkst, welcher Aspekt Deiner Arbeit deckt dies ab und in welcher Weise?
Ich fühle mich berufen, zu hinterfragen und Verbindungen entstehen zu lassen, zwischen Natur und Mensch. Wenn man etwas sät, mit viel Liebe, Sonne und auch Tränen nährt, dann entstehen feste, tiefe Wurzeln. Vielleicht auch durch ein kraftvolles Bemühen. Wurzeln schenken und Erdung, ein festes Fundament, Stabilität. Aus all dem entsteht ein wundervoll starker Stamm, der in den Himmel wächst. Uns erblühen lässt. Die Früchte und Blätter stehen für Leichtigkeit, Flexibilität und Kreativität. Ganz im Sinne der Natur dürfen wir uns entfalten. All das macht meine Berufung aus, genau das rettet mich im täglichen Krankenhausalltag. Es ist individuell einsetzbar bei Patient und Mensch.
Wenn Du an die Menschen denkst, die zu Dir kommen, was sind wohl die herausforderndsten Themen mit denen diese derzeit kämpfen?
Negative Vibes spürt man im Krankenhaus sehr oft, das liegt zum Beispiel an Unsicherheiten und Angst. Ich gehe auf die Menschen zu mit einem Lächeln. Auch wenn man das durch den Mund-Nasen-Schutz hindurch nicht sieht, spüren es die Patienten sofort. Oft kann man verschiedene Energien gleich verändern, indem man die Patienten ernst nimmt, ihnen einen sicheren Raum gibt, wo sie sich wohlfühlen.
Das präsenteste Thema ist natürlich Covid-19. Obwohl es für mich keinen Unterschied macht, ob die Krankheit Covid-19, Krebs oder Herzinfarkt heißt. Ein weiteres großes Thema ist Kontrollverlust. Damit kann kaum jemand wirklich umgehen.
In welcher Weise unterstützt Du die Menschen, die zu Dir kommen, bei diesen Herausforderungen?
Ich frage dann oft: Wieso hast du diese Angst?
Wie hat sich Deine Arbeit durch die Pandemie verändert?
Meine Arbeit hat sich grundlegend geändert seit Covid-19. Im Frühjahr und Sommer habe ich oft Freiluftyoga und Waldbaden an besonderen Plätzen angeboten. Wir sind hier im Herzen der Rhön und des Rennsteiges und wir können uns vor Natur nicht retten. Die Menschen bei uns haben oft den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen und vergessen, wie schön unsere Natur ist. Wir haben mit allen Sinnen gefühlt. Im Herbst durfte ich keine Gruppenangebote wegen des Lockdowns anbieten und stieg auf eins-zu-eins um. In Verbindung von Reiki und Yoga konnte ich individuelle Energiearbeit anbieten und Energie von Herz zu Herz verschenken.
Mittlerweile ist das Yoga-Studio geschlossen, ich vermisse meine Yogis, genauso wie sie mich. Trotz alledem brauche ich meine Energie derzeit ausschließlich für mich, meine Familie und die Arbeit im Krankenhaus. Sie fordert uns alles ab, wir kommen an unsere persönlichen Grenzen. Gerade auf der Intensivstation besteht viel Hoffnungslosigkeit. Ja, die Patienten sind oft alt und haben Begleiterkrankungen. Und ja, oft hatten sie einen Lebenswandel, der dazu geführt hat, trotz alledem sind es Menschen, Seelen. Sie verdienen es, wie jeder andere auch bestmöglich behandelt zu werden. Sie leiden oft an Todesangst, Einsamkeit, bis zur Verzweiflung, ohne ihren Herzensmenschen an ihrer Seite. Manche können sich nicht verabschieden. Und wieder sage ich, es ist egal, wie die Erkrankung heißt.
Viele Patienten haben keine Kraft zu heilen, es gibt nicht viele Erfolgserlebnisse. Wir leisten oft nur die täglichen Aktivitäten des Lebens und sind DA, mehr können wir kaum tun. Eine wirkliche Therapie gibt es nicht, der Körper braucht den Willen, die Zeit und Ruhe zum Heilen. Auf der Intensivstation eher schwierig.
Die Arbeit im Covid-19-Bereich ist herausfordernd, zum einen, weil uns die Schicksale zutiefst berühren, obwohl wir schon viel gesehen haben. Selbst Schwestern, die sonst in Auslandshilfseinsätzen tätig sind, sind von diesem Zustand tief berührt. Zum anderem ist der Hygiene-Mehraufwand immens! Man muss genau überlegen, welche Hilfsmittel, Medikamente, etc. man braucht. Bevor man den isolierten Bereich betritt, muss man sich gut organisieren, das beginnt schon beim Hygiene-Eigenschutz. Am besten gleich mehrere Handschuhe übereinander, um verschiedene Arbeitsschritte durchzuführen, mit nicht-kontaminierten Handschuhen. Oft reißt mal einer. Da ist natürlich eine durchdachte Arbeitsweise für uns am sichersten. Nicht zu vergessen, das tägliche Arbeiten mit FFP2- und FFP3-Masken, man gewöhnt sich an alles, aber gesund ist das nicht, eher ein schleichender Tod. Oft kommt man aus diesem Bereich bis auf die Unterwäsche völlig durchnässt heraus, da die Schutzkleidung nichts raus und nichts rein lässt und muss erst mal tief Durchatmen, um nicht umzukippen. 75 Minuten FFP-Maske tragen ist zulässig, danach 30 Minuten Pause, das allein ist im Krankenhausalltag nicht möglich, da wir seit Jahren bekannter weise Personalmangel haben.
Aber jeder ist für seinen Eigenschutz und für sich selbst verantwortlich. Personalmangel, ein Problem, was schon lange bekannt ist. Es wäre sinnvoll gewesen, sich vorzubereiten, beispielsweise mit extra Schulungen und Weiterbildungen. Es gibt so viel Möglichkeiten sein Wissen zu erweitern, man wird nicht dümmer dadurch und was geschieht? Schadensbegrenzung. Jetzt, wo wir am Limit sind, wacht man auf und reagiert viel zu spät. Wir, die im Krankenhaus arbeiten, tun das für die Menschen und deshalb ziehe ich meinen Hut für so viel selbstlose Arbeit!
Dann gehen wir nach Hause zu unseren Familien und hoffen, dass wir nichts mit nach Hause schleppen. Wir reduzieren unseren Radius auf gefühlte Null, um niemanden zu gefährden. Alles machbar, keine Frage, aber auf Dauer gesund? Vielleicht jammert auch unsere Gesellschaft auf hohem Niveau?! Mir geht es um Achtsamkeit und Bewusstheit mir selbst gegenüber und meinen Mitmenschen gegenüber. Für mehr fehlt mir die Kraft. Am Ende sind wir alle ein Teil des großen Ganzen.
Wie kommst Du mit Deinen persönlichen und familiären Herausforderungen durch die Pandemie zurecht? Wie hilft Dir dabei Deine persönliche Praxis?
Der Wald ist mir ein treuer Begleiter, oft übe ich mich in Pranayama und Meditation. Für mehr reicht die Energie oft nicht aus, da ich mich oft nach der Arbeit um Homeschooling und den Familienalltag kümmere. Trotz allem sind wir viel bewusster und achtsamer im Umgang miteinander. Ich bekomme oft Hilfe von meiner Familie. Wir sind ein Team und wissen, was wir brauchen, was uns glücklich macht. Das empfinde ich als Glück. Dafür bin ich dankbar. Mehr ist nicht wichtig.
Mir hilft Kapalabhati, die energetische Feueratmung, sie stärkt das Zwerchfell und die Atemmuskulatur, der Sauerstoffgehalt wird stark erhöht, die Durchblutung angeregt. Somit können Stoffwechselvorgänge im Körper besser funktionieren. Die Atemtechnik ist wesentlich als Prävention. Ich habe mich sehr viel mit der Beatmung von Covid-Patienten auseinandergesetzt und für mich ist diese Atemtechnik präventiv wertvoll.
Covid-Patienten mit leichten Symptomen können diese Atemtechnik dosiert üben. Obwohl ihnen wahrscheinlich schwindelig dabei wird. Die Zeit, die wir mit bewusstem Atem verbringen, ist wesentlich. Leider gibt es noch keine greifbaren Ergebnisse von Long-Covid-Patienten, aber ich bin sicher, dass uns dies unmittelbar bevor steht und wir alle viel dadurch lernen können. Die Behandlung ist sehr langatmig. Ich bin der Überzeugung, dass dort, wo Energie fließt, auch Heilung entstehen kann.
Wo holst Du Dir Deine Inspirationen in dieser Zeit? Oder anders gefragt: Wer oder was ist für Dich da?
Ich lese gerade sehr viel, beschäftige mich mit alternativen Heilmethoden, Energiemedizin und Glauben. Meine Meditationen bringen mir viel Klarheit und Flexibilität. Gefühlt habe ich meine Fühler überall. Für mich gibt es viele Wege zum Ziel.
Welche Übung aus Deinem persönlichen Repertoire empfiehlst Du Deinen Teilnehmern am häufigsten in dieser Zeit und warum?
Erden. Am liebsten in Viparita Karani, die Umkehrhaltung im halben Schulterstand. Beine nach oben an die Wand, Kopf und Herzensraum erden und mit dem Atem verbinden. Achte einmal darauf, wo Energie fließt und mit jedem Einatmen lasse im Atem Licht und Liebe einströmen, bis du deinen gesamten Resonanzraum bis in jede Zelle seines Körpers gefüllt hast mit Licht und Liebe. Gedanken, Sorgen und Ängste werden lichtvoll ausgelöscht und du erfährst einen Moment voller Frieden.
Warum lohnt es sich immer, mit Hoffnung in die Zukunft zu blicken?
Das Leben verläuft in Wellen. Höhen und Tiefen. Nach dem Regen scheint auch wieder die Sonne. Alles im Leben hat seinen Grund, sei es um daraus zu lernen. Wir Menschen haben viel zu lernen. Ist man sich der Sterblichkeit bewusst, liebt und lebt man anders. Man sollte das Leben so einrichten, dass jeder Augenblick bedeutungsvoll ist. Tue alles mit Liebe!
Herzlichen Dank liebe Martina, für dieses ehrliche und augenöffnende Interview und die Zeit, die Du Dir genommen hast! Wir sind froh, dass es Menschen wie Dich gibt, die trotz aller Widrigkeiten für andere da sind und auch in schweren Zeiten und in Extremsituationen Achtsamkeit, Bewusstheit und Positivität mit einbringen.
Zur Person: Martina Herbach ist Krankenschwester und Yogalehrerin. Sie lebt in der Rhön in Thüringen und betreibt das Studio Zeit und Raum für Yoga. Informationen findest Du auf der Studio-Seite auf Facebook Auf Facebook findest Du Martinas persönliches Profil hier.