Schlagwortarchiv für: Purashcharana

Lesedauer 8 Minuten

Von Michael Nickel

„Mein Haus, mein Auto, meine Yacht, meine Freundin!“ … vielleicht erinnerst Du Dich an eine Versicherungswerbung in der grauen Vorzeit des Fernsehens, die mit dem Thema Selbstidentifikation über Besitztümer gespielt hat, indem sie einen dezent grauharigen Mitlife-Mann – sprich: ein Grufti – die Fotosammlung seiner Errungenschaften auf den Tisch knallen ließ. Aber vielleicht erinnerst Du Dich auch nicht daran … schließlich würden mich viele jungen Leute heutzutage selber schon als „Grufti“ bezeichnen – und vermutlich bin ich das auch, denn erstens bin ich über 50, zweitens weiß ich, was ein Telefonhörer ist und wie man eine Wählscheibe bedient und drittens kenne ich noch nicht einmal die Begriffe, mit denen heute das bezeichnet wird, was man in meiner Jugend als „Grufti“ bezeichnet hat… Nun ja, egal! Zurück zur Sache! Es geht zum Einstieg ins heutige Gedankenfutter über die Tendenz von uns Menschen, eine Menge Stolz zu entwickeln, wenn wir etwas erlangt haben – sei dieses Etwas materiell oder immateriell.

Beim letzten Teilsatz müssen wir dann alle vielleicht nochmal genauer hinhören: ja, richtig, wir entwickeln denselben Stolz auf Immaterielles wie auf Materielles. Viele von uns, die sich über bewusstes Leben Gedanken machen und versuchen, etwas moderater zu leben, lachen vielleicht insgeheim über die Vorstellung des Midlife-Crisis-Mannes, der von einer materiellen Errungenschaft zur nächsten hechelt … Aber seien wir doch mal ehrlich. Diesen Stolz findet man bei so gut wie allen Menschen, auch denen, die auf dem spirituellen Pfad sind. Die einen sind Stolz auf ihren Handstand, die anderen sind stolz, wie schön sie Kirtan singen können, die nächsten sind stolz, wie lange sie die Luft anhalten können, wieder andere, wie lange sie in der Meditation sitzen können, dann nochmal andere darauf, welchem „Guru“ sie folgen und nicht wenige Swamis sind stolz darauf, Swamis zu sein, und so weiter und so fort.

Zugegebenermaßen eine Überspitzung, Ich weiß! Und sicher riskiere ich gerade damit, 90 Prozent der Leserschaft auf einen Schlag zu verlieren! Doch es führt nun mal kein Weg an diesem Spiegel vorbei: wir alle identifizieren uns mit etwas und aus dieser Identifikation entsteht ein innerer Stolz, den wir manchmal auch nach außen tragen. Selbst wenn wir denken, dass unsere Selbstidentifikation oder unser Asmita – um mal wieder schlauisch, yogisch und sanskritisch zu reden – sich im Rahmen hält. unsere Sprache verrät dann doch immer wieder, wie es wirklich um unsere Selbstidentifikation steht. Weiterlesen

Lesedauer 10 Minuten

Von Michael Nickel

„Die Welt ist zum verrückt werden!“ – Oder nicht? – Ohne Zweifel leben wir in einer Zeit, in der die Meisten von uns täglich mit mehr Herausforderungen konfrontiert werden, als uns gut tut. Aber sollen wir deswegen wirklich gleich verrückt werden? – Zum Glück muss es soweit nicht kommen. Die Yoga-Philosophie mit ihrer grundlegend konstruktiven Sichweise auf das Leben, das Universum und den ganzen Rest bringt es ja in Yoga Sutra 2.16 schön auf Sanskrit zum Ausdruck: „heyam dukham anagatam“ – oder zu gut Deutsch: „Zukünftiges Leid ist vermeidbar“. Und zwar vermeidbar im Sinne von: es muss sich für uns nicht manifestieren. Es heißt jedoch nicht, dass wir den Kopf in den Sand stecken und die Dinge an uns vorbei ziehen lassen oder dass wir vor den Herausforderungen der Welt davonlaufen. Diese Sichtweise auf unsere Handlungsspielräume als Mensch sagt lediglich: wir können die Dinge so tun, dass das Leid ausbleibt.

„Potentielles zukünftiges Leid kann vermieden werden!“

Man könnte nun natürlich einwenden: „Ich hab doch keinen Einfluss auf das große Weltgeschenen, wie soll ich also das Leid vermeiden, das durch Krieg, Hunger, Energiekrise, Inflation, Materialmangel und was noch alles in der Welt entsteht?“ – Na, ist beim Lesen dieser Begriffe der Blutdruck schon hochgegangen? Der Puls schneller geworden? Die Laune in den Keller gegangen? – Sorry, aber da sind wir dann schon wieder beim persönlichen Leid! Doch nicht wegklicken jetzt, es kommt ja besser! Was in Yoga Sutra 2.16 angesprochen wird, hat wirklich Hand und Fuß: wir müssen nicht an potentiellen Dingen leiden, die noch nicht eingetreten sind. Die Yoga-Traditionen geben uns die Werkzeuge dazu in die Hand, um vor Leid geschützt zu sein. Weiterlesen

Lesedauer 12 Minuten

Von Pandit Rajmani Tigunait

Das traditionelle Meditationssystem legt den Schwerpunkt auf jene technikgetriebenen Komponenten und Praktiken, die es uns ermöglichen, jene geistigen Tendenzen zu erkennen und zu überwinden, welche unsere Suche behindern. Wenn diese zweifache Dimension der Meditation in einer gut struk­turierten, zeitlich begrenzten Weise in die Praxis umgesetzt wird, ist diese technisch als Purashcharana bekannt. Aufgrund ihres besonderen Aufbaus zwingt uns eine solche gut strukturierte, zeitlich begrenzte Meditation dazu, unsere Grenzen zu überschreiten und einen Schritt (charana) vorwärtszugehen (purash) und sich weiter vorwärts zu bewegen, bis die Praxis abgeschlossen ist.

Oftmals praktizieren wir unsere tägliche Meditation routine­mäßig. Wir setzen uns hin, machen einige vorbereitende Übungen und beginnen zu meditieren. Während unserer Meditation er­scheinen und verschwinden ständig zufällige Gedanken. Solange diese zufälligen Gedanken den Fluss der Meditation nicht vollständig blockieren, sagen wir uns, dass wir meditieren. Da die Zeit, die wir für die Meditation einplanen, recht kurz und mit vorbereitenden und begleitenden Übungen gefüllt ist, erreichen wir keinen Ort, an dem unsere Meditation von den verborgenen Inhalten des Geistes gekapert wird. Das erfüllt uns mit der Pseudozufriedenheit, unsere tägliche 30-minütige Meditation zu vollenden. Aber diese Art der täglichen Meditation zeigt uns nicht die wahre Natur unseres Geistes und seine verborgenen Inhalte. Sie hat eine beruhigende Wirkung auf unseren Körper und unser Nervensystem, trägt aber wenig zu unserer Selbstverwirklichung bei. Nur wenn wir uns auf eine gut strukturierte, zeitgebundene Praxis mit integrierten kontemplativen Werkzeugen festlegen, erhalten wir die Chance, die verborgenen Inhalte unseres Geistes zu sehen, uns ihnen zu stellen und sie zu überwinden. Dadurch kann die Meditation optimale Früchte tragen. Weiterlesen

Lesedauer 5 Minuten

Von Pandit Rajmani Tigunait

Mantra-zentriertes Purashcharana stellt eine einzigartige Spezialität in der Tra­dit­ion der Meister des Himalayas dar. Es existieren Tausende von Mantras. Einige sind in den Schriften dokumentiert, andere werden durch mündliche Überlieferung weiter­­gegeben. Eine kleine Anzahl von Mantras dient der spiri­tuellen Entfaltung, aber die Mehrheit dient der Überwindung von Hindernissen, die ihren Ursprung in unserem Geist oder in der Welt außerhalb von uns haben. Hindernisse, welche beispielsweise durch Angst, Trauer oder Selbstmordgedanken entstehen, sind die Domäne von Mantra-zentriertem Purashcharana. Die vorsorglichen Maßnahmen und Voraussetzungen für ein solches Purashcharana sind strenger als für solche, die keine Mantras beinhalten. Weiterlesen

Lesedauer 9 Minuten

Von Pandit Rajmani Tigunait

Zweifel, Einsamkeit und Angst sind nur einige der subtilen Tendenzen, die unserem Körper die Vitalität entziehen und die Brillanz unseres Geistes trüben. Die Praxis eines Purashcharana ermöglicht es uns, die Quellen dieser Tendenzen zu entdecken und die Verletzungen zu heilen, die sie unserem Körper und Geist zugefügt haben. Wie bereits beschrieben, bedeutet Purashcharana »einen Schritt nach vorn«. In den meisten Meditationssystemen existiert das Konzept von Purashcharana nicht, und selbst wenn es existiert, bedeutet es lediglich, eine bestimmte Anzahl von Mantra-Rezitationen innerhalb einer bestimmten Zeitspanne durchzuführen. In der Schule der Vishoka-Meditation ist Purashcharana klar definiert.

Die allgemeinen Richtlinien für die Durchführung eines Purashcharana erfordern die Vermeidung aller Extreme. Zum Beispiel sollte der Ort, an dem man übt, sauber, nicht zu hell, nicht zu dunkel, nicht isoliert, aber nicht in der Nähe eines überfüllten Ortes sein. Er sollte weder laut noch totenstill sein. Er sollte frei von starken Aromen sein, sowohl angenehmen als auch unangenehmen. Es sollte weder übermäßig dekoriert noch völlig kahl sein. Ebenso sollte man während des Purashcharana weder aktiv nach einer Beschäftigung mit weltlichen Dingen suchen noch sich völlig abschirmen. Mit anderen Worten: Der Aufenthalt in der Mitte erfüllt die erste allgemeine Voraussetzung für die Durchführung eines Purashcharana. Weiterlesen

Lesedauer 14 Minuten

Von Rolf Sovik

Die Schriften des alten Indiens sind voll von Geschichten, Mythen und Legenden, in denen sich Philosophie mit Hingabe verbindet. Große Persönlichkeiten tauchen in diesen Erzählungen auf, darunter der Weise Markandeya, dessen Lehren in der Markandeya Purana zu finden sind. Sein Text ist vor allem wegen seiner Schilderung der Herrlichkeit der göttlichen Mutter in Erinnerung geblieben. Markandeya wird auch für seine Vision der kosmischen Sintflut gerühmt, und im Mahabharata ist er ein Ehrengast im Waldlager der heldenhaften Pandava-Brüder. Aber seine Geschichte beginnt schon vor seiner Geburt. Weiterlesen