Birgit Hortig: „Den Blick auf das Positive, Gute, Schöne und Lebendige ausrichten“

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Lesedauer 8 Minuten

Interview mit Birgit Hortig

In welcher Form arbeitest Du mit Menschen?

Ich bin seit über 14 Jahren als Yogalehrerin tätig und gebe für Menschen aller Altersgruppen Yoga-Kurse und Einzelunterricht. Seit 8 Jahren bin ich zusätzlich als Ausbildungsdozentin in Yogalehrer-Ausbildungen für die AYI Methode tätig und bilde Yogalehrer*innen aus.


Als was siehst Du Dich in dieser Funktion?

Meine Aufgabe und „Funktion“ in meinem Yoga-Unterricht sowie in den Ausbildungen sehe ich darin, die Essenz des Yoga, die Verbindung mit dem eigenen Selbst (Svatma) bewusst und erfahrbar zu machen und den für jeden Menschen passenden und individuellen Zugang dazu zu ermöglichen. Ich sehe mich als Wegbegleitung für all diejenigen, die auf der Suche sind nach einem für sie praktisch erfahrbaren Weg hin zu mehr Selbst-Bewusstheit, Selbst-Vertrauen und Selbst-Ermächtigung.


Wenn Du an Deine Berufung oder Dein Dharma denkst, welcher Aspekt Deiner Arbeit deckt dies ab und in welcher Weise?

Die Auseinandersetzung mit dem Yoga und seinen Inhalten gibt mir immer wieder die Möglichkeit, „hinter den Vorhang“ (Maya) zu schauen und zu erkennen, wo sich Schleier lüften dürfen und wo mehr Klarheit kommen darf. Von daher sehe ich meine Berufung darin, Menschen darin zu unterstützen, ihre eigene Bestimmung zu finden und sich zu trauen, ihr zu folgen und sie zu leben. In meinem Unterricht habe ich die Möglichkeit, diese Themen mit anzusprechen und anzubieten in Form der Einstimmung auf die jeweilige Yoga-Stunde, die in der Regel ein philosophisches Thema beinhaltet. In allen Yoga-Stunden und/oder im Einzelunterricht gibt es die Möglichkeit, bestimmte Themen anzusprechen und einzufügen. Das können kleine Häppchen sein, die gut zu verdauen und umzusetzen sind, in Form von Sutrani aus dem Yoga Sutra oder Slokas aus dem Ayurveda oder Zitate und Verse, die passen. Für mich ist es wichtig, dass Yoga in meinem Unterricht auf allen Ebenen erfahrbar wird – physisch, mental, emotional und spirituell. Darin sehe ich meine Aufgabe und meine Berufung: Menschen individuell wieder zurückzuführen an ihre eigene innere Quelle.


Wenn Du an die Menschen denkst, die zu Dir kommen, was sind wohl die herausforderndsten Themen mit denen diese derzeit kämpfen?

Ich nehme sehr stark Unsicherheit, Angst, Erschöpfung und eine Zermürbung wahr, ein immer wieder nachfragen, wie ist es im Moment und wann geht es wieder vor Ort weiter. Aber auch Ärger, Trauer, Einsamkeit.

Die Kontaktbeschränkungen sind für viele Alleinlebende zwar nichts Neues, aber oft sind diese bewusst selbstverordnet. Viele Alleinlebende haben schon immer ganz bewusst für sich das „Alleine leben“ gewählt, immer aber mit der Möglichkeit, bei Bedarf und wenn sie mögen, den Kontakt zu anderen zu suchen und aufzunehmen, z.B. indem sie regelmäßig einen Yogakurs besuchen. Im Moment fällt diese Möglichkeit weg und das Alleinsein bekommt nochmal eine ganz neue Bedeutung. Vielen fehlt ganz konkret, sich zumindest einmal in der Woche im Yoga-Kurs zu sehen und auszutauschen, zu spüren, zu hören, dass es eine Gemeinschaft gibt. Etliche ältere Übende haben und/oder wollen die Online-Lösung nicht, sondern benötigen und bevorzugen die persönliche Ansprache und den Austausch. In den vielen Jahren, in den sich meine Yoga-Kurse zum Teil gebildet haben, sind wirklich Freundschaften entstanden, die im Moment auf Eis gelegt sind.


In welcher Weise unterstützt Du die Menschen, die zu Dir kommen, bei diesen Herausforderungen?

Ich versuche in erster Linie zuzuhören, Verständnis auszudrücken und Mut und Zuversicht anzubieten, um sich zumindest für eine Zeitlang von allen Gedanken, die den Geist negativ triggern und den Alltag betreffen, frei zu machen. Ich versuche über die Atmung und Atemübungen die Teilnehmer*innen wieder einen neuen Freiraum in sich selbst erspüren zu lassen und sich im wahrsten Sinne „frei zu atmen“ aus allen Gedankenverstrickungen. Die Aufgabe darf sein, den Blick trotz allen äußeren Umständen auf das Positive, Gute, Schöne und Lebendige auszurichten und dafür ein Bewusstsein zu erschaffen. Das wird möglich über geführte Meditationen oder wie schon erwähnt Atemübungen, die das Gehirn und den Geist bündeln und lenken, sodass die Aufmerksamkeit immer wieder auf einen Gegenstand, ein Thema oder den Atem gelenkt wird und im Laufe der Zeit negative Gedanken langsam und beständig durch positivere ersetzt werden.


Wie hat sich Deine Arbeit durch die Pandemie verändert?

Rein technisch durch zusätzliche Online-Yoga-Kurse und/oder Hybrid-Kurse, sodass , wenn erlaubt, eine begrenzte Anzahl an Übenden im Studio sein dürfen und andere online gleichzeitig mitüben.

Emotional und mental fühle ich mich aufgefordert, noch mehr Ruhe und Stabilität im Unterricht zu etablieren, aber auch ganz bewusst heilsame, positive innere Bilder und Gedanken einfließen zu lassen. Letztlich ist der Yoga immer der Yoga und beinhaltet genau diese Arbeit – die Arbeit an den eigenen Gedankenmustern. Zu erkennen und wertzuschätzen, was bereits da ist, was möglich ist und was wachsen darf, die Ausrichtung auf das innere Licht (Jyotishmati), auf die Ausatmung (Lösen von Ängsten), auf Maitri, Mudita, Karuna und Upeksa – liebende Güte, Mitgefühl, Verständnis und Gleichmut gegenüber „Fehlern“.

Wir haben die Wahl – unsere innere Welt zu gestalten! Wie wollen wir die Welt betrachten?

Ich habe schon immer mit den Bildern von Patanjali gearbeitet, jetzt finde ich sie extrem günstig, um die mentale Ausrichtung zu betrachten und gegebenenfalls zu verändern.

Wir als Yoga-Lehrende sollten jetzt gerade für alle Menschen da sein, die sich einen Perspektivwechsel wünschen und sie darin unterstützen, nicht zu zweifeln, nicht zu verzweifeln, sondern die Energie, die im Inneren frei wird in Form von Angst, Unsicherheit und Einsamkeit umzuwandeln in eine gesunde und positive Energie des Mitgefühls, der Kooperation und der Unterstützung von anderen, in welchem Ausmaß und in welcher Weise das auch für jede und jeden möglich ist.


Wie kommst Du mit Deinen persönlichen und familiären Herausforderungen durch die Pandemie zurecht? Wie hilft Dir dabei Deine persönliche Praxis?

Wir sind bis jetzt gut durch die Pandemie gekommen und sind gesund und munter. Wir haben von Anfang an versucht, positiv zu bleiben, die Veränderung auch als Chance zu nutzen. Für uns war der erste Lockdown eine Möglichkeit, wirklich mal aus dem „Trott“ auszusteigen und genau zu schauen, wie und wo könnten Veränderungen positiv für uns als Familie, aber auch individuell für jeden einzelnen von uns sein. Meine Yoga-Praxis habe ich nicht speziell verändert, denn sie ist schon seit vielen Jahren mein Fundament. Ich habe zwar immer wieder nochmal neu beobachtet, was brauche ich heute, aber letztlich beinhaltet meine Praxis bereits alles, was es braucht, um ruhig, stabil und geerdet zu sein und dennoch mit einem offenen Geist und weitem Herzen aus der Fülle zu schöpfen und gar nicht erst in einen Mangel zu kommen.

Wo holst Du Dir Deine Inspirationen in dieser Zeit? Oder anders gefragt: Wer oder was ist für Dich da?

Ich bin sehr dankbar für meine Familie und Freunde, die immer für mich da sind und da waren, ebenso meine Lehrer, die mich schon lange im Yoga und Ayurveda begleiten und inspirieren. Durch die Pandemie ist aber auch ein wunderschönes neues Netzwerk an Kollegen und Yogalehrern entstanden, mit denen ich immer wieder bei Bedarf verbunden bin.

Meine Inspirationen ziehe ich aber auch aus ganz alltäglichen Begegnungen mit Menschen, Tieren, der Natur. Daraus entstehen Bilder und Visionen, die ich in mein Leben integriere und wachsen lasse. So sind bereits viele Ideen und Themen entstanden, die mich sehr bereichern und begleiten auf meinem Weg und dafür bin ich von ganzem Herzen dankbar.


Welche Übung aus Deinem persönlichen Repertoire empfiehlst Du Deinen Teilnehmern am häufigsten in dieser Zeit und warum?

Ich empfehle eine regelmäßige Körperpraxis, die individuell passend und stimmig ist. Prinzipiell halte ich angemessene regelmäßige Bewegung für Körper und Geist sinnvoll, sodass eine Yoga-Praxis, wenn möglich, auch immer einige Bewegungsabläufe und/oder Standpositionen beinhalten sollte, die kräftigen, stabilisieren und erden, aber auch Herz und Kreislauf entsprechend anregen.

Sanfte Drehungen regen die Verdauung an und unterstützen darin, alles, was wir über die Sinne aufnehmen, entsprechend umzuwandeln und auf allen Ebenen zu verdauen. Außerdem unterstützen sie dabei, auch mal die Perspektive zu verändern und etwas neu zu betrachten.

Sanfte Rückbeugen unterstützen die Neu-Ausrichtung auf das, was vor uns liegt und energetisieren Körper und Geist.

Umkehrhaltungen wie beispielsweise Viparita Karani wirken beruhigend und erdend und harmonisieren das vegetative Nervensystem.

Eine ausgewogene Praxis, die alle Aspekte des Körpers und Nervensystems anspricht wäre sinnvoll.

Bei Unruhe und Nervosität würde ich Atemübungen wie z.B. die Nasenwechselatmung und/oder Brahmari empfehlen, bei Erschöpfung und Müdigkeit z.B. die Ujjayi-Atmung oder Vollatmung.


Warum lohnt es sich immer, mit Hoffnung in die Zukunft zu blicken?

Die Natur der Dinge ist es, sich zu wandeln – Parinama. Da wir Menschen Teil dieser Natur und Schöpfung sind unterliegen wir diesem Wandel ganz genauso. Jahreszeiten, Tag und Nacht, Sonne und Mond-Zyklus sind für uns ganz selbstverständlich, auch in uns ist der Wandel durch die Lebensjahre spür- und sichtbar. Und eben dieser Wandel ist Ausdruck für einen immerwährenden Neuanfang – Menschen werden geboren und sterben, die Natur entfaltet sich jedes Jahr wieder neu, in allem Anfang steckt ein Zauber inne – das Samenkorn, das alle Informationen in sich trägt.

Der Hatha-Yoga beschreibt, dass sich dieser Wandel aus einem universellen Bewusstsein heraus entfaltet und in regelmäßigen Abständen neu kreiert – aber in allem, was im außen sichtbar geworden ist, steckt immer auch das große Ganze. Wenn wir das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren, können wir uns jederzeit daran erinnern, dass es einen Weg dorthin gibt – den wir im Inneren gehen können, uns verbinden mit der Vorstellung und der Kraft, die aus dieser Vorstellung heraus in uns spürbar werden darf – Teil und Ausdruck des Ganzen zu sein und sich darauf zu besinnen, wieder mit dem großen Blick zu schauen, die Schönheit der Schöpfung zu betrachten und den Moment, den wir jetzt gerade haben, bewusst und dankbar zu schätzen. Daraus entsteht der nächste kostbare Augenblick und der nächste und der nächste… Dafür lohnt es sich ab sofort mit einem positiven und hoffnungsvollen Blick in die Zukunft zu schauen und aus dem Inneren heraus zu erschaffen, was wir uns wünschen. Energie erzeugt wieder Energie, positive Energie erzeugt positive Energie.


Herzlichen Dank Liebe Birgit, für diese wundervollen, inspirierenden Worte und Bilder und dass Du Dir die Zeit genommen hast, Deine Positivität mit uns zu teilen!

Zur Person: Birgit Hortig ist Yogalehrerin, Heilpraktikerin, Ayurveda-Therapeutin und Inhaberin des Studios Yoga Süd in Stuttgart (www.yoga-sued.de) Dort findest Du auch alle Infos zu ihren Online-Stunden. Auf Facebook findest Du sie hier.

 

Fotos: Paul Königer Fotografie

Birgit Hortig
Birgit Hortig

Birgit Hortig ist Heilpraktikerin, Yogalehrerin BDY/EYU und Ausbildungsdozentin (AYI Methode) und hat eine abgeschlossene Ausbildung in Ayurvedamedizin für Heilberufe. Sie ist Inhaberin des Studios Yoga Süd in Stuttgart und bietet zusammen mit Ihrem Team Yogakurse für alle Zielgruppen, Business-Yoga sowie Ausbildungen und Workshops an. Webseite: www.yoga-sued.de Fotos: Paul Königer Fotografie

https://yoga-sued.de

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