Eine gewisse Dunkelheit ist nötig, um die Sterne leuchten zu sehen
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Von Michael Nickel
Gehörst Du auch zu den Menschen, denen die kurzen Tage und langen, dunklen Nächte im Winter zu schaffen machen? Wenn ja, bist Du sicher nicht alleine und kannst vermutlich eine Inspiration gebrauchen, die Dunkelheit mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wenn Du nicht zu diesen Menschen gehörst, dann geht es Dir vielleicht wie mir und Du magst die Dunkelheit – solange sie begrenzt ist!
Für viele scheint dieser Winter im Kopf und im Herzen besonders dunkel zu sein, wo zu den langen Nächten nun auch noch Ausgangsbeschränkungen und mehr hinzukommen. Doch mal ganz objektiv betrachtet: Die Tage sind nicht kürzer als im letzten Winter und auch die Nächte sind nicht dunkler als früher. Trotzdem kommt es uns vielleicht so vor. Und da sind wir schon beim Kern der Sache: Unsere Wahrnehmung von Dunkelheit und Licht ist höchst subjektiv. Besonders unsere Wahrnehmung von Dunkelheit hängt ganz wesentlich von unserer Prägung, unseren Erfahrungen, unseren Vorstellungen und Ängsten in Bezug auf die Dunkelheit ab. Und genau an diesem Punkt können wir konstruktiv eingreifen, indem wir die Perspektive wechseln. In anderen Worten, wir sind nicht die ewigen Opfer unserer eigenen subjektiven Welt der Gedanken und Emotionen. Wir können diese vielmehr ändern. Eines der wirkungsvollsten Werkzeuge dazu ist, durch einen Perspektivwechsel und positives Denken eine positive Konnotation zum betroffenen Gedankenkonstrukt – hier die Dunkelheit und lange dunkle Nächte – zu erschaffen und damit im wahrsten Sinne des Wortes ein Licht im Dunkeln aufgehen zu lassen.
Dunkelheit: Die kuschelige Bettdecke für meinen Geist
Für mich ist Dunkelheit etwas Wunderbares. Ich weiß nicht, ob dies schon immer so war. Aber ich weiß, dass es schon lange so ist. Ich schlafe am liebsten in völlig verdunkeltem Zimmer und liebe es, vor dem Einschlafen in die undurchdringliche Schwärze eines solchen Raums wirklich hineinzusehen. Die reale Dunkelheit im Zimmer ist für mich wie eine „Bettdecke für den Geist“, die mich mental genauso angenehm und kuschelig einhüllt, wie meine Schafschurwolldecke, die ich ich in der kalten Jahreszeit so liebe.
Im Gedankenfutter letzte Woche habe ich vom Schlaf gesprochen und von meiner Gewohnheit, mich vor dem Einschlafen in die „Hände der Mutter Natur“ oder des Universums zu legen. Dieser Aspekt der vertrauensvollen Hingabe vor dem Schlafen hat viel mit der Wahrnehmung von Dunkelheit zu tun. In Indien würde man wohl sagen: „Ich lege mich zum Schlaf vertrauensvoll in die schützenden Hände der göttlichen Mutter Ratri„. Denn Ratri ist im Hinduismus die Göttin der Nacht. Doch was sich im ersten Moment schon wieder wie ein rein religiöses Konzept im Kontext des Hinduismus anhört, ist in Wirklichkeit ein sehr viel älteres Konzept aus der Zeit der Veden, das uns eine gewisse Weltsicht auf die Prinzipien der Natur gibt. In diesem alten vedischen Kontext – und im tantrisch-yogischen Verständnis von heute – stellt Ratri nichts anderes dar, als die Gesamtheit aller konzentrierten, kumulativen Kräfte der Natur, die mit dem Phänomen der Nacht zu tun haben.
Interessant ist dabei, dass sich diese Betrachtungsweise später im Hinduismus in eine anthropomorphe Verkörperung gewandelt hat, die absolut positiv ist. Aus Sicht so vieler modernen Menschen, die die Dunkelheit fürchten, mag es bizarr erscheinen, dass Ratri im heutigen religiösen Kontext als die mächtige, liebevolle Muttergöttin angesehen wird, die uns grenzenlos Lebensenergie schenkt. Was wäre, wenn wir diese Sichtweise – jenseits des religiösen Kontextes – auf die Nacht und ihre Dunkelheit anwenden könnten: All die Kräfte der Natur, die mit Dunkelheit und Nacht zu tun haben, als notwendige und wohltuende Kräfte zu sehen, die es uns erst erlauben, uns zu erfrischen und zu stärken – und damit überhaupt erst die Grundlage legen, alles am Tag zu genießen, was uns im Licht begegnet! Feiern wir doch einmal die Nacht und die Dunkelheit dafür, dass sie uns in liebevoller Weise dieses Geschenk macht – und das selbst, wenn wir als ihre Kinder sie ablehnen und missachten. Denn die Natur wertet nicht. Sie gibt und gibt und gibt, selbst in der Dunkelheit.
Die Nacht schenkt Dir eine geschärfte Wahrnehmung für einzelne Lichter
Und sie schenkt uns noch viel mehr mit ihrer dunklen Umhüllung in den langen Nächten des Winters: Sie erlaubt uns, schwache, isolierte Lichter ganz intensiv wahrzunehmen! Die Kerzen und der Lichterglanz des Advents sind wohl das Erste, woran wir hier denken. Aber es geht noch viel weiter: Auch die Sterne und Planeten werden durch die dunkle Nacht erst in ihrer ganzen Pracht „enthüllt“. Auch wenn derzeit jeder von Jupiter und Saturn und ihrer Konjugation zum „Weihnachtsstern“ spricht, so lohnt es sich doch immer, den Blick in den dunklen, klaren Nachthimmel zu erheben. Und je dunkler es ist – was in unseren Großstädten oft ein Problem ist, Stichwort Lichtverschmutzung – umso mehr und umso feinere Sterne leuchten für uns. Wenn das kein Geschenk ist!
Vor einigen Tagen trat ich, wie jeden Abend vor dem Schlafen gehen, auf die Terrasse und Orion strahlte mir in seiner ganzen Pracht im Süden entgegen. Welch herrlicher Anblick, ein solch majestätisches Sternbild schlich auf sich wirken zu lassen. Auch das geht nur in der Nacht. Noch anschaulicher wird es, wenn man dann seinen Blick von Orion aus Richtung Zenit und etwas nach Westen wandern lässt. In schönen, dunklen und klaren Nächten kann man dann mit bloßen Augen den Sternhaufen der Plejaden wahrnehmen, eine Gruppe schwächer leuchtender Sterne, die im Fernglas für mich wie die funkelnde Oberfläche eines geschliffenen Diamants, der im Dunkeln beleuchtet wird, aussieht. Es gilt also: Es ist eine gewisse Dunkelheit nötig, um Sterne zu sehen – und es ist eine ordentliche Dunkelheit nötig, um nicht nur die hellsten „Stars“ unter den Sternen zu sehen.
Diese „dunkle Zeit“ der Pandemie ist eine Chance
Für mich gilt genau dasselbe auch für diese „dunkle Zeit“ der Pandemie. Die damit verbundene Dunkelheit ist eine Chance, das helle Leuchten unserer Mitmenschen zu sehen, das oft im Licht des sorgenfreien Lebens „untergeht“. In den letzten Wochen habe ich in unserer Gesellschaft trotz aller verbreiteten Zweifel, Ängste, Sorgen, Verzweiflung, Wut und Zorn ganz viele menschliche Lichter wahrgenommen, die für sich selbst und für andere da sind und hell strahlen – all den Widrigkeiten zum Trotz. Und ich spreche hier nicht nur von den Corona Held*innen in den Kliniken, sondern von Menschen quer durch die Gesellschaft, die ihre Ängste und Sorgen so gut es geht zur Seite schieben und liebevoll für andere da sind, ganz gleich, ob dies ihr Job ist oder ob sie es einfach so im Alltag tun. Und meist ist es eine Mischung aus beidem. Wir sollten alle genau hinschauen, wo diese Lichter überall leuchten. Sei es in der Familie, seien es Lehrer in der Schule, Verkäufer im Alltag oder einfach Menschen, denen wir auf dem Spaziergang begegnen. Schau mal genau hin und Du wirst das Strahlen in ihrem freundlichen Grüßen und ihrem Lächeln finden. Lächle selbst und grüße von Dir aus freundlich und Du wirst das Licht für andere sein und Dein Strahlen ausbreiten.
Das mag uns nicht immer möglich sein – allzu oft sind wir vielleicht selbst ein Teil der Dunkelheit. Doch hey! Wofür sind wir eine Gesellschaft? – Doch nicht, dass wir unsere Dunkelheit vermehren. Im Gegenteil: Als Gesellschaft profitieren wir von denen, die leuchten. Sind wir das selbst, ist es fein – können wir das gerade nicht, dann genieße das Licht der anderen, bis Du selbst wieder in der Lage bist, für Dich und andere zu leuchten!
In diesem Sinne wünsche ich Dir eine wunderbare „dunkle“ Weihnachtswoche. Nutze diese Zeit, um die Lichter zu sehen. Sei es am Adventskranz, am Weihnachtsbaum oder in den Augen, den Gesichtern und Herzen Deiner Mitmenschen – und von Dir selbst!
Frohe Weihnachtstage, bleib gesund und munter und strahle,
Dein Michael