Prosit Neujahr – oder vom Zauber des Anfangs und der Kraft von Sankalpa Shakti

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Lesedauer 7 Minuten

Von Michael Nickel

Das Jahr neigt sich rasant dem Ende zu und mit großen Schritten nähert sich die Silvesternacht, in der Millionen von Menschen sich – leichtsinnigerweise, muss man wohl sagen! – einen Neujahrsvorsatz nehmen. Gehörst Du auch dazu? – Na, dann weiß ich nicht so recht, ob ich Dich ermuntern soll weiter zu lesen oder doch lieber gleich einen anderen Artikel auf der Seite zu lesen. Ich hatte mir ja vorgenommen, hier nur Positives zu schreiben – aber leider muss ich jetzt eine der Miesepeter-Statistiken zitieren, die zeigt, dass über 45 Prozent aller Menschen, die sich Neujahrsvorsätze nehmen, diese nur einen Tag bis maximal einen Monat durchhalten und weitere 31 Prozent zumindest mehr als zwei Monate. Doch nur rund 23 Prozent aller Menschen mit Vorsatz schaffen es, diese Vorsätze nicht zu brechen.

Doch was sich im ersten Moment wie das statistische Ätschebätsch anhört, hat doch die Kapazität, etwas Positives zu bewirken: nämlich, uns zum Reflektieren zu bringen, wie es eigentlich um unsere „guten Vorsätze“ steht, die wir uns zu Neujahr oder jahraus jahrein an beliebigen Tagen vornehmen. Ist das eigentlich immer durchdacht, was wir uns da vornehmen? Ist das realistisch – oder besser – können wir das realisieren, was uns da vorschwebt?

Guter Vorsatz auf yogisch: Sankalpa Shakti

Es wäre kein Gedankenfutter, wenn ich hier nicht die Kurve zur Yoga-Philosophie kratzen würde. Und hey, hier sind wir schon, denn im Yoga ist das Thema „gute Vorsätze“ ziemlich präsent – und das nicht nur in den modernen Yoga Nidra Varianten, die auf Swami Satyananda zurückgehen und die Welt erobert haben. Du ahnst es vielleicht schon, es geht um Sankalpa. Zu deutsch: „ein übergeordnetes Gedankenkonzept, dem unbedingt Folge zu leisten ist“. Wenn das nur so einfach wäre, wie es sich anhört.

Ein anderer großer Yogi, der ebenfalls eine Variante von Yoga Nidra in den Westen gebracht hat, sagte darüber etwas ganz Erstaunliches: „Nimm Dir kein Sankalpa, wenn Du Dich nicht daran halten kannst! Du wirst sonst Dein Bewusstsein beschädigen.“ Das kommt von Swami Rama. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass uns im Westen immer wieder dazu geraten wird, uns einen Vorsatz mit einem Post-It an den Kühlschrank zu kleben und – Hokus, Pokus, Fidibus! – darauf zu vertrauen, dass er sich dann schon erfüllen wird, wenn wir ihn nur oft genug lesen. Doch was steckt dann hinter der Warnung von Swami Rama? Und was können wir daraus für unseren Silvestervorsatz lernen – der sich vielleicht schon im Hinterkopf in der Phase des Zusammenzimmerns befindet?

Drei Aspekte kommen im Vorsatz zusammen

Dazu müssen wir in die Samkya-Philosophie schauen, auf die auch das Yoga Sutra von Patanjali aufbaut, die letztlich eine raffinierte Psychologie darstellt, die für mich persönlich das beste Modell des Geistes überhaupt parat hat. Sie sagt uns schlicht, dass es dreier Aspekte oder Kräfte bedarf, um die Macht von Sankalpa – oder in anderen Worten Sankalpa Shakti – zu manifestieren: Wir benötigen jede Menge Wissen, jede Menge Willenskraft und dazu noch eine gute Portion Aktivität in Form von zielgerichtetem Tun.

Yoga-Philosophie wäre nicht, was sie ist, wenn sie nicht ihre dezidierten Begriffe für diese drei Aspekte hätte: Jnana Shakti – die Kraft des Wissens; Iccha Shakti – die Kraft des Willens; Kriya Shakti – die Kraft des Handelns. Und während die deutschen Worte dafür schwammig sein mögen, bilden diese drei Kräfte im Samkya die Grundfesten des Universums und des Spiels des universellen Bewusstseins und seiner Energien, die sich darin entfalten. Auch in der menschlichen mikrokosmischen Entsprechung – unserem Geist – stehen diese drei Kräfte im Zentrum. Und hier schließt sich der Kreis zu unseren Neujahrsvorsätzen, die ja bekanntermaßen nicht im Sektglas, sondern im Kopf entstehen – zumindest ist das bei den meisten Menschen so …

Was wir für einen guten Vorsatz wirklich brauchen

Wenn wir also die Aussage von Swami Rama im Lichte dieser drei Aspekte betrachten, dann wird klar, dass wir im Bezug auf unseren Vorsatz zunächst einmal sehr viel Jnana brauchen: Klarheit, was wir wollen und Erkenntnis und Verstand darüber, was alles damit zusammenhängt und wie wir dies erreichen können – wie auch, was dem entgegensteht. An diesem Punkt scheitern wohl schon viele Neujahrsvorsätze: unsere Vorstellung darüber bleibt zu wage. Bevor wir uns also den erstbesten noch auf der Zunge prickelnden Sektglas-Vorsatz nehmen, sind wir wohl besser beraten, den Neujahrsvorsatz vielleicht noch ein paar Tage reifen zu lassen und wirklich zu durchdenken, bevor wir ihn „festschreiben“.

Dieses Wissen umfasst auch eine Reflektion über unsere Willensstärke – Iccha Shakti – die uns letztlich im Alltag die moralische Stütze verleiht, ja verleihen muss, damit wir den Vorsatz auf lange Sicht hin ausführen können. Willensstärke hat also ausgegorenes Wissen zur Grundlage, aber auch das beste Wissen kommt ohne Willensstärke nicht weit. Die beiden müssen also Hand in Hand arbeiten und nicht jeder einen eigenen Weg gehen wollen. An dieser Stelle kommt unser Tun hinzu – Kriya Shakti – unsere Kraft des informierten, willengestählten Handelns. Uninformiertes Handeln dagegen ist kopflos, hohl und kurzlebig. Doch selbst informiertes Handeln ohne Willensstärke ist lahm! Handeln wir zaghaft, ist alles vergebens, wenn es drauf ankommt.

Ist es dann das Wissen, das den Schlüssel zu Sankalpa Shakti darstellt? – Ja und Nein. Ja, weil es in vielen Fällen eine Erkenntnis ist, dass es so nicht weitergehen kann, die uns zu einem Vorsatz führt. Nein, weil schon zum Weiterdenken dieser Erkenntnis Wille nötig ist – und weil das Denken an sich schon eine Handlung ist, wir also innerlich schon etwas tun.

Vom Zauber eines yogischen Dreiklangs

Wenn Du jetzt einen Dreiklang hörst, dann bist Du auf der richtigen Spur: Jnana Shakti, Ichha Shakti und Kriya Shakti lassen sich nicht trennen. Sie erklingen immer zusammen. Ist der Dreiklang harmonisch, dann entfaltet sich der wunderbare Klang von Sankalpa Shakti und führt uns zu Erfüllung und Erfolg. Wird der Dreiklang dagegen von Dissonanz beherrscht, so erklingen die drei im Ungleichgewicht und es beginnt im Gebälk der Struktur von Sankalpa Shakti zu knirschen, bis es in unserem Bewusstsein zu Spannungen verschiedener Aspekte kommt, die sich nicht mehr in Einklang bringen lassen. Darum spricht Swami Rama von der Beschädigung unseres Bewusstseins! Wir sollten unseren Vorsätzen also besser Beachtung schenken.

Ist das ein Grund, zu Neujahr keinen Vorsatz zu nehmen? – Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Letztlich musst Du das selbst entscheiden. Ich persönlich nehme mir seit Jahren nichts mehr zu Neujahr vor. Genauer, seit dem Zeitpunkt, an dem mir das Konzept von Sankalpa Shakti klar wurde. Will ich etwas Bedeutsames erreichen, so braucht es den Gesamtkontext von Jnana, Iccha und Kriya Shakti. Der Anlass, sich einen Vorsatz zu nehmen, hängt für mich mit allen drei Aspekten grundlegend zusammen. Dabei gilt – um mit Hermann Hesse zu sprechen:

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Und dieser Zauber ist für mich Sankalpa Shakti. Die Kraft des Vorsatzes steht am Anfang und nicht ein beliebiges Datum oder ein Brauch. Dieser Zauber muss sich entfalten, bis er für uns so stark wird, dass wir nicht anders können, als ihm zu folgen. Warum sollte ich also zu Neujahr einen halbfertigen Zauber loslassen, anstatt ihm im Innern einen heimeligen Platz zu bieten, an dem er wachsen und gedeihen kann, bis er heraus bricht und uns Kraft unserer ureigendsten Jnana Shakti, Iccha Shakti und Kriya Shakti in der Erfüllung unseres Vorsatzes für die Welt erstrahlen lässt.

Du wählst also, wann die Zeit reif ist, nicht der Kalender!

In diesem Sinne wünsche ich Dir, dass Du die Geduld und die Ruhe hast, Deinen eigenen Zauber entfalten zu lassen, wann immer er reif dazu ist. Doch eins kannst Du Dir für Silvester und Neujahr ganz getrost und sicher vornehmen, denn soviel Jnana, Iccha und Kriya ist immer in uns, um das zu erfüllen: Lächle Dich selber im Spiegel an und lächle für die Menschen um Dich herum. Dann entfaltet sich von ganz alleine der Zauber der Freundlichkeit und Menschlichkeit, von der wir nie genug auf dieser Welt haben können.

 

Prosit Neujahr! Ein frohes, glückliches und gesundes neues Jahr 2021 wünscht Dir von Herzen,

Dein
Michael

 

Michael Nickel
Michael Nickel

Dr. Michael Nickel ist Entrepreneur, Autor, Gründer-Verleger des Agni Verlags, Naturwissenschaftler, Berater, sowie Yoga- und Meditationslehrer. Wenn er nicht gerade die Wunder der Welt erkundet, lebt und wirkt er in Remseck bei Stuttgart. Sein Interesse gilt der Kunst des guten und freudvollen Lebens und allem, was damit zusammen hängt, philosophisch und praktisch. Michael ist langjähriger Schüler von Rod Stryker und der erste Parayoga Level 2 Lehrer in Europa. Er unterrichtet atemzentrierte Asana-Sequenzen (im Sinne von Viniyoga). Durch seinen Meditations- und Yoga-Philosophie-Lehrer Pandit Rajmani Tigunait wurde er in den Samaya-Pfad (inneren Pfad) der Sri-Vidya-Tradition der Meister des Himalayas eingeweiht. In diesem Zusammenhang ist er auch Certified Vishoka Meditation Teacher. Seine eigene Praxis und vielfältigen Erfahrungen aus dem Bereich Yoga, Biomechanik, Entspannung und Meditation bildet die Grundlage für seine Kurse und Workshops zu Hatha Yoga, Meditation und Tiefenentspannung, insbesondere Yoga Nidra. Alle Stunden und Kurse mit Michael auch online unter agni-online.de

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