Raja Yoga: Achtfacher Pfad zur Heilung und nährender Stärkung (Teil 2 von 3)

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Lesedauer 9 Minuten

Von Swami Rama

 

Im vorigen Teil des Beitrags findest Du eine Einleitung zu Raja Yoga von Patanjali.

Der Achtfache Pfad zum freudvollen Leben

Der größte Fehler, den Menschen auf der Suche nach Frieden und Glück machen, ist das Ignorieren der goldenen Gesetze eines gesunden Lebens: richtig essen, richtig atmen, richtig schlafen, richtig denken, Sinnesfreuden richtig genießen, richtig mit anderen interagieren und auf den höheren Zweck des Lebens konzentriert bleiben. Wenn du dich nicht an diese goldenen Gesetze eines gesunden und glücklichen Lebens hältst, wirst du weiterhin mit deinem persönlichen, familiären, beruflichen und sozialen Leben zu kämpfen haben. Egal wie intelligent du bist, du wirst ein Opfer von Faulheit und Trägheit bleiben. Trotz deiner Absichten, ein produktives Leben zu führen, wirst du unter einem Mangel an Ausdauer leiden. Du wirst mit einem schwachen Körper und einem zerstreuten Geist enden. Du wirst so viel Zeit und Energie damit verschwenden, mit einer langen Kette von Hindernissen zu kämpfen, die aus dem ungesunden Körper und dem unruhigen Geist entstehen, dass nur sehr wenig für die Arbeit an deinem Hauptziel übrig bleibt, sei es weltlich oder spirituell. Die Beseitigung von Hindernissen ist ein wichtiger Teil der Arbeit an deinem Hauptziel, weshalb die Einhaltung dieser goldenen Gesetze dir hilft, die Grundlage für ein freudvolles Leben zu schaffen.

Ein freundvolles Leben in acht Schritten finden

Als die großen Adepten dies erkannten, arbeiteten sie einen Plan aus, um die Kunst des freudvollen Lebens in acht einfachen und systematischen Schritten zu meistern. Diese acht Schritte sind als Raja Yoga bekannt geworden (Mystiker nennen es Adhyatma Yoga). Diese Schritte umfassen die oben erwähnten goldenen Gesetze und beinhalten eine methodische Praxis zur Entfaltung des Potenzials, das in unserem Körper, unserem Geist und unserer Seele schlummert. Dies ist der vollständigste Weg, um uns auf jeder Ebene zu heilen und nährend zu stärken.

Die fünf Yamas

Der erste Schritt in diesem achtfachen Plan ist Yama (die Selbstregulierung, Selbsteinschränkung). Das Wort Yama bedeutet wörtlich das, was uns hilft, innerhalb unserer Grenzen zu bleiben und die Grenzen anderer nicht zu übertreten. In der modernen Sprache bedeutet es „leben und leben lassen“. Bei diesem Schritt versuchen wir, fünf Prinzipien zu verstehen und anzunehmen: Gewaltlosigkeit (Ahimsa), Wahrhaftigkeit (Satya), Nicht-Stehlen (Asteya), Nicht-Ausschweifen (Brahmacharya) und Nicht-Besitznahme (Aparigraha).

Gewaltlosigkeit bedeutet, sei nett zu dir selbst und sei nett zu anderen. Wahrhaftigkeit bedeutet, sei ehrlich zu dir selbst und sei ehrlich zu anderen. Nicht-Stehlen bedeutet, unterlasse es, dir das anzueignen, was dir nicht gehört und sei glücklich mit dem, was dir rechtmäßig gehört. Nicht-Ausschweifen bedeutet, dass du deinen Körper, deine Sinne und deinen Geist nicht missbrauchst. Genieße alle Gaben, die dir die Natur gegeben hat, aber nur auf eine Art und Weise, die deinen Körper und Geist nährt, ohne dir die Vitalität zu entziehen, die du brauchst, um deine Lebensreise zu vollenden. Nicht-Besitznahme bedeutet, dass du dich nicht an physische und emotionale Objekte bis zu dem Punkt klammerst, an dem dein Haus, dein Körper, deine Sinne und dein Geist zu einem Schrottplatz werden.

Diese fünffache Praxis der Selbstregulierung hilft dir, dein Leben zu vereinfachen. Indem du diese fünf Einschränkungen praktizierst, wirst du nicht länger eine Quelle der Bedrohung für andere sein, so dass die Menschen um dich herum sich mit dir wohlfühlen werden. Und du wirst nicht länger eine Bedrohung für dich selbst sein, so dass du mit dir selbst im Frieden bist.

Die fünffache Praxis der Niyamas

Der zweite Schritt in der Praxis des Raja Yoga ist Niyama (die Selbstdisziplin, Selbstverpflichtung). Auch dieser Schritt besteht aus fünf Komponenten: Reinheit (Shaucha), Zufriedenheit (Santosha), Enthaltsamkeit (Tapas), Selbststudium (Svadhyaya) und Hingabe an das Göttliche (Ishvara Pranidhana).

Um Shaucha zu praktizieren, musst du nur sauber und geradlinig in deinen Gedanken, Worten und Handlungen sein. Lass Reinheit in der Welt außerhalb von dir und Reinheit in der Welt in dir sein.

Sei zufrieden. Arbeite so hart wie du willst und setze dir so hohe Ziele wie du willst. Aber sei zufrieden mit den Früchten deines Handelns. Zufriedenheit (Santosha) bedeutet hier nicht, dass du selbstgefällig wirst oder in die Falle der Trägheit und Untätigkeit tappst. Es bedeutet einfach, dass du deine Handlungen ausführst, ohne unter dem Fieber der Unruhe zu leiden.

Diszipliniere dich selbst. Verpflichte dich zu Tapas, was wörtlich mit „Entbehrung“ übersetzt wird. In der tatsächlichen Praxis bedeutet Tapas jedoch, einen Lebensstil anzunehmen, bei dem du anfängst, in deinen Gedanken, deiner Rede und deinen Handlungen zu glänzen. Nimm einen Lebensstil an, bei dem du ein Licht für dich selbst und ein Licht für andere wirst.

Wir müssen uns auch zum Selbststudium (Svadhyaya) verpflichten – studiere deinen Körper, deinen Geist und deine Sinne. Studiere deine Gedanken, Sprache und Handlungen. Studiere deine Gewohnheitsmuster und deine Stärken und Schwächen. Durch das Selbststudium erlangst du das richtige Verständnis für dich selbst und für die Welt außerhalb von dir.

Schließlich durchdringe dein Leben mit der Gegenwart des Göttlichen. Dies wird Hingabe an das Göttliche oder Ishvara Pranidhana genannt. In der yogischen Tradition erfordert die Praxis der Hingabe an das Göttliche keine rituellen oder zeremoniellen Utensilien. Bleibe dir einfach des göttlichen Wesens – dem Herrn des Lebens in dir – in allen Situationen und Umständen bewusst. Erinnere dich daran, dass der Herr des Universums, die barmherzigste göttliche Wesenheit, immer mit dir ist. Sie ist die wahre Quelle des Lebens.

Auf Fragen zur persönlichen Moral und Ethik folgen Körper- und Atempraxis

Diese ersten beiden Schritte des achtfachen Pfades stellen die moralischen und ethischen Aspekte der Yoga-Philosophie und Praxis dar. Wenn du diese fünf Prinzipien der Selbstdisziplin und der Selbstbeobachtung nicht annimmst, werden alle deine Bemühungen – sowohl weltliche als auch spirituelle – durch endlose Hindernisse aufgehalten. Ohne diese Prinzipien wird jede Praxis, die du für deine spirituelle Entfaltung und dein totales Wohlbefinden unternimmst, wie ein Körper ohne Atem sein.

Der dritte Schritt auf dem Weg des Raja Yoga ist Asana, die Körperhaltungen. Nach hunderten von Jahren ständiger Erkundung und persönlicher Praxis kamen die Yogis zu dem Schluss, dass der menschliche Körper mit einem grenzenlosen Potential ausgestattet ist. Der Körper ist mit allen Mitteln versehen, um sich selbst krank zu machen und mit allen Kräften, um sich selbst zu heilen. Es liegt ganz an uns, ob wir mit einem ungesunden Körper oder mit einem lebendigen Körper leben wollen. Adepten haben 84 klassische Haltungen mit endlosen Variationen und Ableitungen entdeckt, die uns helfen können, einen lebendigen Körper zu gewährleisten, in dem die Seele einen freudigen Geist tragen kann. All diese Haltungen können in zwei Hauptkategorien eingeteilt werden: physische Haltungen und meditative Haltungen. Körperliche Haltungen haben einen direkten Einfluss auf die Wiederherstellung der körperlichen Gesundheit und einen indirekten Einfluss auf die Kultivierung eines freudvollen Geistes. Meditative Haltungen dagegene haben einen direkten Einfluss auf das Erlangen eines freudvollen Geistes und einen indirekten Einfluss auf die Wiederherstellung der körperlichen Gesundheit.

Der vierte Schritt im Raja Yoga ist als Pranayama bekannt. Prana bedeutet „Lebenskraft“, Ayama bedeutet „Ausdehnung“. Pranayama-Praktiken helfen uns, unseren Körper und unseren Geist mit vitaler Energie, der Lebenskraft, zu durchdringen. Diese Praktiken bestehen aus Atemübungen, die subtiler und wirkungsvoller sind als die Praxis der Körperhaltungen. Indem du diese Atemübungen machst, kannst du die inneren Organe im Körper stärken und revitalisieren, die Sinne nähren, emotionale Verletzungen heilen und den Geist nähren.

Die Vorbereitung für die Praxis von Pranayama ist viel anspruchsvoller als die Vorbereitung für die Praxis der Körperhaltungen. Du musst sicherstellen, dass deine Ernährung ausgewogen ist und die Luft, die du atmest, frisch und sauber ist. Es gibt zudem Richtlinien, um festzustellen, ob du deine Atemübungen richtig praktizierst oder nicht, und um sicherzustellen, dass du innerhalb deiner Grenzen bleibst und deine Kapazität auf sichere und graduelle Art und Weise erweiterst.

Sinnesrückzug ist der sechste Schritt

Dann folgt der fünfte Schritt, bekannt als Pratyahara – wörtlich „sich weise und gekonnt zu lösen“. Oftmals wird dieses Wort mit „Sinnesentzug“ übersetzt, was westliche Schüler erschreckt. Aber wenn du die Bedeutung dieses Wortes analysierst, erkennst du, dass dieser besondere Schritt des Yoga sich auf eine entscheidende Phase auf der Reise des Lebens bezieht. Die Vorsilbe prati bedeutet „sich von einem unerwünschten Punkt in Zeit und Raum zu lösen und sich mit dem zu vereinen, was nützlich und wünschenswert ist.“ Die andere Vorsilbe, a, bedeutet „aus jeder Richtung, in jeder Hinsicht“. Das Wort hara ist von der Verbwurzel hri abgeleitet, das heißt „tragen, führen, leiten, beaufsichtigen“. Zusammen bedeuten beide Präfixe und das Verb, unsere Sinne und unseren Geist von den ungesunden und unerwünschten Objekten der Welt zu lösen, die ganze verstreute Energie der Sinne und des Geistes zu sammeln und sie nach innen zu wenden, um die höheren Dimensionen des Lebens zu erforschen.

Die Praxis von Pratyahara ist eine natürliche Entwicklung auf der Reise der Seele. Wenn wir an einer Kreuzung stehen, rennen wir von einem Objekt zum anderen, von einem Job zum anderen, von einer Karriere zum anderen, von einer Beziehung zur anderen. Irgendwann finden wir uns erschöpft wieder. Unser Herz verlangt, dass unser Verstand den Zweck hinter diesem endlosen Rennen klärt. Das ist der Zeitpunkt, an dem du – egal ob du an der Yoga-Praxis interessiert bist oder nicht – den Sinn und Zweck des Lebens neu bewertest. Diese Neubewertung motiviert dich, für eine Weile innezuhalten und zu sehen, ob dieses ununterbrochene und fast zwecklose Marathonrennen um die Reize und Verlockungen der Welt lohnenswert ist. Jeder Mensch steht irgendwann im Leben an diesem Scheideweg. Die Entscheidung, sich den verlockenden Anblicken, die die Straßen säumen, zu entziehen und nur auf dem Weg zu bleiben, der am meisten Sinn macht, wird Pratyahara genannt. Es bezieht sich zum Teil auf den Rückzug der Sinne und zum Teil auf die Hinwendung des Geistes nach innen.

 

In Teil 3 des Beitrags geht es mit Details zu den Stufen 6 bis 8 des Raja Yoga von Patanjali weiter.

 

Auszug aus Swami Ramas Buch „Happiness Is Your Creation“ (Himalayan Institute, 2005, bisher nicht auf Deutsch erschienen). Vergleichbare, vertiefende Ausführungen finden sich in seinem Buch „Die Kunst des freudvollen Lebens: Ein Handbuch des Glücks im Hier und Jetzt“ (Agni Verlag 2018). Dieser Artikel erschien auch in der Wisdom Library des Himalayan Institute, USA. Deutsche Übersetzung von Michael Nickel und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Himalayan Institute.

Swami Rama
Swami Rama

Swami Rama (1925-1996) ist einer der großen Weisen, Lehrer, Autoren und Humanisten des 20. Jahrhunderts, sowie der Gründer des Himalayan Institutes (USA) und des Himalayan Institute Hospital Trusts (Indien). Geboren in Nordindien, wurde er von frühester Kindheit an von Bengali Baba, einem Meister aus dem Himalaya, aufgezogen. Unter der Leitung seines Meisters reiste er von Kloster zu Kloster und studierte bei einer Vielzahl von Heiligen und Weisen im Himalaya, einschließlich seines Großmeisters, der in einer abgelegenen Region Tibets lebte. Zusätzlich zu diesem intensiven spirituellen Training erhielt Swami Rama eine höhere Ausbildung in Indien und Europa. Von 1949 bis 1952 hatte er die angesehene Position des Shankaracharya von Karvirpitham in Südindien inne. Danach kehrte er zu seinem Meister zurück, um sich in seinem Höhlenkloster weiterzubilden, und schließlich kam er 1969 in die Vereinigten Staaten, wo er das Himalayan Institute gründete. Sein bekanntestes Werk, Mein Leben mit den Meistern des Himalayas, enthüllt die vielen Facetten dieses einzigartigen Adepten und zeigt seine Verkörperung der lebendigen Tradition des Ostens.

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