Psoas richtig lösen und loslassen – Warum das gelernt sein will …
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Von Michael Nickel
Der Psoas oder Lendenmuskel bekommt in Yogakreisen regelmäßig viel Aufmerksamkeit. Es hat sich herumgesprochen, dass der Psoas nicht nur an den meisten Fehlhaltungen der Wirbelsäule seinen Anteil hat, sondern, dass er auch einer der Hauptbeteiligten ist, wenn es um unspezifische, stress-bedingte Rückenschmerzen geht. Doch selbst, wenn keine offensichtliche Wirbelsäulen-Fehlstellung vorhanden ist und keine Rückenschmerzen das Leben schwer machen, kann es sein, dass der Psoas seine Arbeit so gut macht, dass es schon zu viel des Guten ist.
Was ist denn eigentlich die Aufgabe des Lendenmuskels?
Anatomisch ist er in vielerlei Hinsicht besonders: der einzige Muskel, der die Wirbelsäule direkt mit den Beinen verbindet; der längste Muskel des Körpers; einer der stärksten Muskeln des Körpers. Die Funktion klingt weniger spektakulär, ist aber für uns Menschen als aufgerichtete Säugetiere extrem wichtig: das Lendenmuskelpaar stabilisiert im Stehen, Bewegen und Sitzen das 3D-Zusammenspiel zwischen Wirbelsäule und Beinen. Das beinhaltet sowohl die die Stabilisierung von statischen Haltungen, aber auch die Initiation von Bewegungen der beiden zueinander, d.h. beispielsweise in Rückenlage sowohl das Beinheben als auch das Anheben des Oberkörpers. Beim gehen wird es dann ganz wild: hier stabilisiert der Psoas die Ausrichtung der Wirbelsäule dynamisch, während er rhythmisch anspannt und loslässt, um die Beine relativ zur Wirbelsäule zu bewegen. Erstaunlich, nicht wahr? – Man kann so weit gehen, dass es keine im Alltag vorkommende Körperhaltung außer dem Liegen gibt, in der beide Psoas-Stränge gleichzeitig völlig loslassen können. Man kann den Psoas natürlich beidseitig loslassen, wenn man sich mit beiden Händen an eine Klimmzugstange oder einen Ast hängt – oder wenn wir nur in einem Brustgurt hängen würden, so dass wir von der Lendenwirbelsäule abwärts frei wären. Doch wann kommt das schon mal vor?
Das heißt also, dass der Psoas beidseitig nur im Liegen loslassen kann, doch da beginnen schon die nächsten Probleme: Bei den meisten Menschen in unserer Gesellschaft ist der Psoas durch seine Aufgabe des Stabilisierens im Sitzen derart verkürzt, dass viele Menschen noch nicht einmal spannungsfrei auf dem Boden liegen können. Dann brauchen wir für Entspannungsübungen wie Savasana oder Yoga Nidra die berühmten „Props“.
Besonders heikel wird die Situation, wenn neben vielem Sitzen auch noch Stress dazu kommt. Der Psoas ist auf ganz kurzem Weg an das vegetative Nervensystem angebunden. Schließlich ist er als Muskel, der das Laufen einleitet ein klassischer „Flucht-und-Kampfmuskel“. Die Kopplung an die Sympathikus-Seite des autonomen Nervensystems ist so kurz, dass der Psoas unmittelbar an die Spannung des Zwerchfells anknüpft. Er reagiert also unmittelbar auf unser Atemmuster. Hoppla! – Ist nicht das Atemmuster vollkommen an den mentalen und emotionalen Stresszustand angekoppelt? – Oh ja, das ist es. Das heißt, dass unser Psoas selbst dann mit Spannung reagiert, wenn wir ihn in der Rückenlage loslassen könnten, aber mental oder emotional im Stress sind… Mal ehrlich: wie oft hast Du im Bett oder in Savasana schon über Deine Probleme nachgedacht?
Der Psoas muss aktiv losgelassen werden
Was bleibt also? Der Psoas muss aktiv „losgelassen“ werden. Ich formuliere das absichtlich so, weil es weniger um eine Dehnung geht, wie es im „Sport“ gerne gesehen wird. Es geht vielmehr darum, den kleinen Nervenzentren, die den Spannungszustand des Muskels steuern eine neue Programmierung zu verpassen. Das geht am besten, wenn das vegetative Nervensystem auf Entspannung schaltet, weil dabei der Psoas gedehnt wird und in der neuen Länge ein wenig arbeiten muss. Das ist das Rezept, um den Psoas loszulassen. Hört sich einfach an, ist es auch, wird aber trotzdem oft nicht richtig gemacht!
Es gibt ja viele Yoga-Haltungen, die den Psoas oder Lendenmuskel dehnen sollen. Das tun sie auch, aber leider ist bei den meisten dieser Haltungen eine der vorgenannten Bedingungen nicht erfüllt. Entweder wird gedehnt ohne dass der Psoas etwas tun muss oder er muss dabei zu viel tun. Oder es wird so stark gedehnt, dass er sofort in Gegenwehr springt. Dazu kommt, dass bei Yogahaltungen wie den Virabhadrasana-Varianten oder Anjanejasana die Hüfte und vor allem die Lendenwirbelsäule so viel Bewegungsspielraum hat, dass man den Effekt der Dehnung auf den Psoas durch eine kleine Verschiebung nach rechts oder links um nur wenige Zentimeter ganz leicht völlig zunichte machen kann und dafür ganz andere Muskeln anspricht. Das Problem dabei ist, dass die meisten von uns noch nichteinmal sagen können, wie sich ein verspannter Psoas anfühlt – oder wie sich Dehnung im Psoas anfühlt … schlicht, weil der Lendenmuskel so seltsam sitzt, so lang ist und sich tief im Körper verbirgt.
Viele wissen gar nicht, wie einfach und effektiv das Lösen des Psoas gehen kann
Es wundert mich immer wieder wie viele Yoga- und Pilates-Übende, inklusive Yoga- und Pilates-Lehrer ganz offensichtliche Psoas-Verkürzungen aufweisen. Dabei gibt es so einfache und überaus effektive Übungen, die man in wenigen Stunden lernen kann, so dass man sie präzise ausführen kann und die Wirkung auch wirklich ankommt.
Erst kürzlich war ich bei einer befreundeten Yoga-Lehrerin zu Gast, die mitten im Umzug ihres Hauses steckte und viele Herausforderungen im Leben meistert. Sie hat eine ausgiebige Praxis am Morgen, die auch viele angebliche Psoas-dehnende Asanas enthält. Ihre mentale und körperliche Spannung wurde sie dadurch aber zuletzt nicht mehr los. Als ich sie an einem morgen durch eine völlig unspektakuläre, sehr bodennahe Psoas-Übungssequenz geführt habe, hat sie noch während der Praxis angemerkt, dass sich ihr völlig neue Perspektiven eröffnen. Ganz einfach, weil ihre Lendenmuskeln in eine neue Länge loslassen konnten und so die ganzen Feedback-Kreisläufe über das autonome Nervensystem auf allen Ebenen das „Loslassen“ förderten.
Wenn also jemand die einfachen Psoas-Übungen belächelt, die ich in meinen Kursen und Workshops anbiete, dann lächle ich einfach nur zurück – oder vielmehr meine Psoas-Muskeln lächeln zurück, denn sie sind absolute Fans dieser Übungen!
Du willst es probieren?
Die angesprochenen Psoas-Übungen lernst Du am besten von einem Lehrer oder Therapeuten, der diese Übungen wirklich verstanden und verinnerlicht hat. Ich selbst baue sie regelmäßig in meine Yogakurse mit ein und ich vermittle sie in Praxis und Theorie in meinen Psoas-Workshops.
Warum ich die Übungen hier nicht beschreibe
Ich wurde gefragt, warum ich die Übungen hier nicht vorstelle. Die Übungen, um die es hier geht, sind kein Geheimnis. Sie basieren auf dem, was ich vor allem von Liz Koch und Doug Keller und anderen gelernt habe. Allerdings haben mich die Erfahrung mit vielen Menschen gelehrt, dass es bei diesen Übungen, trotz ihrer vermeintlichen Einfachheit darum geht, sie präzise und mit Gespür auszuführen. Dazu ist es meines Erachtens wichtig, die Übungen in Interaktion mit einem Menschen zu lernen, anstatt zu versuchen, sich etwas aus einer schriftlichen Beschreibung, die in die Irre führen kann, selbst beizubringen. Obwohl diese Übungen sanft sind, kann man mit ihnen, wenn man sie mit zu viel Ehrgeiz durchführt aufgrund der enormen Kraft, die der Psoas entwickeln kann, durchaus seiner Wirbelsäule noch mehr antun, anstatt sie zu entlasten (Hallo Ihr lieben Pitta-Mitmenschen, das gilt vor allem für Euch!) . Eine Möglichkeit, diese Übungen zu erlernen, auch wenn Du nicht zu meinen Stunden oder Workshops nach Stuttgart oder anderswo kommen kannst, sind Online-Livestream-Stunden und -Workshops via Zoom oder Einzelstunden per Skype oder Hangouts.