Schlagwortarchiv für: Michael Nickel

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Von Michael Nickel

Gehörst Du auch zu den Menschen, denen die kurzen Tage und langen, dunklen Nächte im Winter zu schaffen machen? Wenn ja, bist Du sicher nicht alleine und kannst vermutlich eine Inspiration gebrauchen, die Dunkelheit mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wenn Du nicht zu diesen Menschen gehörst, dann geht es Dir vielleicht wie mir und Du magst die Dunkelheit – solange sie begrenzt ist!

Für viele scheint dieser Winter im Kopf und im Herzen besonders dunkel zu sein, wo zu den langen Nächten nun auch noch Ausgangsbeschränkungen und mehr hinzukommen. Doch mal ganz objektiv betrachtet: Die Tage sind nicht kürzer als im letzten Winter und auch die Nächte sind nicht dunkler als früher. Trotzdem kommt es uns vielleicht so vor. Und da sind wir schon beim Kern der Sache: Unsere Wahrnehmung von Dunkelheit und Licht ist höchst subjektiv. Besonders unsere Wahrnehmung von Dunkelheit hängt ganz wesentlich von unserer Prägung, unseren Erfahrungen, unseren Vorstellungen und Ängsten in Bezug auf die Dunkelheit ab. Und genau an diesem Punkt können wir konstruktiv eingreifen, indem wir die Perspektive wechseln. In anderen Worten, wir sind nicht die ewigen Opfer unserer eigenen subjektiven Welt der Gedanken und Emotionen. Wir können diese vielmehr ändern. Eines der wirkungsvollsten Werkzeuge dazu ist, durch einen Perspektivwechsel und positives Denken eine positive Konnotation zum betroffenen Gedankenkonstrukt – hier die Dunkelheit und lange dunkle Nächte – zu erschaffen und damit im wahrsten Sinne des Wortes ein Licht im Dunkeln aufgehen zu lassen. Weiterlesen

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Von Michael Nickel

Was assoziierst Du mit Winter? – Wenn wir diese Frage stellen, bekommen wir oft ganz gegensätzliche Reaktionen. Bei den einen glitzern die Augen, angesichts der Vorstellung, sich die Skier unter die Füße zu schnallen und die Piste hinab zu wedeln. Bei den anderen verzieht sich das Gesicht zu einer säuerlichen Miene, angesichts langer, dunkler Nächte und feucht-kaltem Schmuddelwetter. Doch ganz egal, welche Beziehung Du zum Winter hast, es ist ziemlich wahrscheinlich, dass dieser Winter „anders als sonst“ sein wird und dass wir ihn alle als herausfordernd wahrnehmen werden, angesichts von Corona-Pandemie und persönlichen Einschränkungen durch Lockdown und Co, bis hin zum Verzicht des geliebten Ski-Urlaubs oder eines winterlichen Wellness-Retreats.

Doch nicht verzagen! Auch wenn Du Dir dessen vielleicht nicht so wirklich bewusst bist: Uns wurde etwas Großartiges geschenkt, bei unserer Geburt, das immerzu bei uns bleibt und allzeit das tut, was wir verlangen. Ein wunderbares Geschenk, das sich, solange wir leben, nicht aufbraucht und uns als treuster Freund begleitet. Ein Geschenk, das uns jederzeit aufmuntern kann und ein Freund, der uns in diesem Pandemie-Winter der Einschränkungen nie verlässt und auf seine Weise uneingeschränkt zur Seite steht: unser Atem!

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Von Michael Nickel

Yoga und die Impulse meiner Lehrer haben mir eine seltsame Gabe beschert. Egal wo ich bin, ich nehme sofort die Atemmuster meiner Mitmenschen um mich herum wahr. Das kann ein ganz amüsanter und lehrreicher Zeitvertreib sein, etwa in der Straßenbahn. Es ist bei gut gelaunten Menschen eine sehr freudvolle Beschäftigung. Doch es kann zur Herausforderung werden, wenn ich Menschen begegne, die leiden. Lasse ich mich auf deren Atemmuster ein, können sich Abgründe auftun. Es ist ein riskantes Spiel! Mit einem Schaudern stelle ich mir vor, in diese Abgründe hineingezogen zu werden. Doch glücklicherweise passiert das nicht. Was mich davor schützt? – Die „fortgeschrittenste“ Pranayama-Übung, die mir meine Lehrer geschenkt haben: Samavritti Pranayama. Sama bedeutet „gleich“ und Vritti ist „Bewegung“. Der Name ist hier Programm: gleichförmige Atembewegung. Weiterlesen

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Von Michael Nickel

Ja, dieses Gedankenfutter spricht heute vom „Himmel“ – und doch gilt dabei: Nein, es geht nicht um Religion! Es geht um unsere persönliche Weltsicht, genauer gesagt darum, wie wir durch unser persönliches In-die-Welt-Schauen jederzeit vor der Wahl stehen, ob wir unser Leben sprichwörtlich im Himmel oder der Hölle verbringen. Leider sind wir uns dessen oft nicht bewusst. Und noch ein viel größeres „leider“ später, stecken wir dann auch schon im Höllenfeuer und versuchen die Pein zu ertragen, die wir dort finden – im Glauben, dass es gar nicht anders kommen konnte. Dabei hast Du jeden Tag von Neuem die Wahl, wo es morgen hingehen soll: In den Himmel oder die Hölle.

Es geht in diesem Gedankenfutter um Schlaf, um Himmel und Hölle, um Tod, um Wiedergeburt – und das alles im Alltag und nicht erst im nächsten Leben! „Hilfe!“, denkst Du jetzt vielleicht, „wie soll daraus etwas Positives werden, ohne in die Religion abzurutschen?“ Ganz einfach, indem wir bei etwas herrlich Positivem anfangen und dann Schritt für Schritt weitergehen. Wir machen den Anfang beim Schlaf … Weiterlesen

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Von Michael Nickel

Diese Woche wurde ich gefragt, welche Philosophie für mich den „besten Weg zur Freude“ verkörpert. Ich musste wirklich etwas darüber nachdenken. Es gibt sicher viele Wege zur Freude – doch gibt es unfehlbare Wege? Bei aller yoga-philosophischen Prägung, die ich in den letzten Jahren erfahren habe, ging es dann doch „back to the roots“ und ich kam bei der Bibel an, bei einem Prinzip, das unsere westliche demokratische Gesellschaft in den Grundfesten mitgeprägt hat: Die Philosophie hinter dem Gebot der Nächstenliebe, Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Als Kind dachte ich, dass Nächstenliebe bedeutet, anderen bedingungslos etwas Gutes zu tun. Das mag so gelten, aber letztlich ist es erst der zweite Schritt oder anders gesagt, die Konsequenz der Nächstenliebe. Denn, um jemandem bedingungslos etwas Gutes zu tun, müssen wir erst einmal bereit sein, das innere Bewerten sein zu lassen. Wir müssen jemanden so akzeptieren, wie sie oder er ist, damit wir überhaupt auch nur bereit sind, diesem jemand etwas Gutes zu tun. Dabei vergessen wir oft den zweiten Halbsatz: wie Dich selbst!

Das Ausrufezeichen hinter diesem Halbsatz kann gar nicht fett genug sein. Denn der zweite Halbsatz drückt gleich Zweierlei aus. Erstens: Akzeptiere Dich selbst, so wie Du bist und tu Dir selbst Gutes. Zweitens: Andere zu akzeptieren und ihnen Gutes zu tun, geht nur, wenn wir dieses Prinzip zunächst auf uns selber anwenden. Es ist eine Art Vorbedingung. Wie könnte man erwarten, anderen in Reinheit etwas Gutes tun zu können, wenn man sich im Herzen nicht selbst achtet und liebt?

Interessanterweise finden wir genau dieses Prinzip auch in der Yoga-Philosophie wieder, allerdings in einer Weise, die selbst für viele Yogis im Westen eine unorthodoxe Sichtweise darstellt, denn es geht dabei um den Begriff „Vairagya“ oder „Nicht-Anhaftung“. Der Weise Bengali Baba brachte gegenüber seinem Schüler Swami Rama Folgendes zum Ausdruck:

»Viele Menschen verwechseln Anhaftung mit Liebe. Doch in der Anhaftung werden wir egoistisch, fokussiert auf die eigene Freude – und wir missbrauchen dann die Liebe. Wir werden besitzergreifend und versuchen alle Objekte unserer Sehnsüchte zu erlangen. Anhaftung erzeugt Fesseln, während Liebe Freiheit schenkt. Wenn Yogis von Nicht-Anhaftung sprechen, lehren sie nicht Gleichgültigkeit, sondern sie lehren, wie man andere wahrhaftig und selbstlos lieben kann. Nicht-Anhaftung oder Liebe kann gleichermaßen von denen praktiziert werden, die in der Welt leben, wie auch von denen, die der Welt entsagt haben.«

Aus: Swami Rama – Mein Leben mit den Meistern des Himalayas

Jeder kann also Nicht-Anhaftung praktizieren! Jeder kann lieben! Das Zitat führt uns gleich mehrfach zurück zum Anfang meiner Überlegung: Zur Frage nach „dem besten Weg in die Freude“. Es geht nicht darum, in eine oberflächliche Freude zu gelangen. Genausowenig wie es in der Nächstenliebe oder der Selbstliebe um eine oberflächliche Liebe geht. Um wahrhaftige Liebe oder Nicht-Anhaftung, um in den Worten von Bengali Baba zu bleiben, wie auch unsere tiefgründige Freude zu erfahren, müssen wir nichts „tun“. Beides ist eine Frage des Annehmens, des Geschehenlassens, das sich nur in einer Grundentspannung unseres Wesens entfalten kann, die man wiederum nicht „erzeugen“ kann. Ganz so wie ein Baum, der das Geschenk des Sonnenlichtes und des CO2 annimmt und basierend darauf durch die Photosynthese in Zucker (oder Selbstliebe) und Sauerstoff (oder Nächstenliebe) produziert. Unsere Nächstenliebe und unsere Nicht-Anhaftung manifestieren sich dementsprechend als Geschenk aus dem entspannten Gleichmut oder einer entsprechenden Gelassenheit heraus – und dieser ist die Folge oder das Geschenk unseres Übens von Yoga im Sinne des Yoga Sutra.

Oder wie Pathabi Jois, der Gründer des Ashtanga Yoga-Stils, es ausdrückte: „Übe – und alles wird kommen.“ Jeder Tag gibt uns die Gelegenheit dazu. Und zugleich ist das Üben ein positiver Akt der Selbstliebe. Hört sich das nicht nach einer positiven Feedback-Schleife an? – Um so besser, denn den Ausdruck negativer mentaler Teufelskreise finden wir in unseren herausfordernden Zeiten ja eh schon oft genug. Zeit also, dem etwas entgegenzusetzen: Selbstliebe, Nächstenliebe, Nicht-Anhaftung – und üben, üben, üben!

 


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Kurzinterview mit Michael Nickel

Los geht’s lieber Michael, lass uns über Lebensfreude reden:

Worüber hast Du Dich heute schon gefreut?

Über das Rotkehlchen das bei uns im Garten wohnt und das dort mit seinem schönen roten Bauch mit den Christrosen-Blüten im winterlichen Garten um die Wette strahlt – ganz besonders, wenn die Sonne so wie vorher kurz heraus kommt. Einfach herrlich!


Was bedeutet »Lebensfreude« für Dich?

Meine persönliche Lebensfreude ist meine eigene Schöpfung! Ganz im Sinne des fast gleichlautenden Zitates von Swami Rama. Früher dachte ich, meine Lebensfreude sei von allen möglichen Dingen und Menschen in der Welt abhängig. Aber das ist sie nicht. „Die Freude am Leben zu sein“ ist tief in uns verankert. Seit ich dies als persönliche Erfahrung gemacht habe, sind von außen stimulierte Freuden, wie das Rotkelchen oder Blumen im Garten, einfach ein i-Tüpfelchen obendrauf, oder die Sahnehaube, die das „leckere“ Am-Leben-Sein, noch schmackhafter machen. Weiterlesen

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Von Michael Nickel

Die Yoga-Philosophie bringt immer und immer wieder zum Ausdruck, dass wir – so schwierig uns das manchmal auch scheinen mag – die Meister unseres Geistes und damit unseres direkten „Schicksals“ sind. Es ist also nicht anders herum, auch wenn wir im Leben oft handeln, als sei der Geist unser Meister und das „Schicksal“ vollkommen von außen bestimmt. Wir brauchen wieder und wieder die Erinnerung, dass wir die Wahl haben, was wir von außen annehmen – ja sogar die Wahl, was wir von dem Annehmen, was unser Geist täglich „ersinnt und erspinnt“. Swami Rama gießt dies in eines meiner liebsten Bilder, das zutiefst bedeutungsvolle vedische Symbol des Schwans:

Dem Schwan wird die Fähigkeit zugeschrieben, aus einer Mischung von Milch und Wasser nur die Milch herauszutrennen und nur diese zu trinken. In ähnlicher Weise ist diese Welt eine Mischung aus zwei Dingen: dem Positiven und dem Negativen. Der weise Mensch wählt und nimmt das Positive und lässt das Negative zurück.

Swami Rama
(aus Mein Leben mit den Meistern des Himalayas)

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Covid-chart-computer-lukas-blazek
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Von Michael Nickel

Im November 2020 veröffentlichte das Max-Planck-Institut für Chemie einen viel-beachteten wissenschaftlichen Artikel mit einem Modell, das es erlaubt, das Risiko einer Covid-Übertragung in Gruppensituationen in geschlossenen Räumen zu simulieren. Eigentlich ein ideales Werkzeug für Yogalehrer*innen, um das Risiko in Yoga-Räumen zu bestimmen und die Gruppengröße entsprechend der Lüftungsmöglichkeiten anzupassen! Diese Ansicht teilen wir vom Agni-Magazin und als Naturwissenschaftler und Yogi möchte ich Euch das Modell etwas erklären, so dass ihr es sinnvoll einsetzen könnt.

Dieses Modell fand schnell weite Verbreitung durch eine Initiative der ZEIT. Das dort sehr schön präsentierte Modell mit einem intuitiv bedienbaren, graphischen Simulator hat jedoch seine Tücken! Dieser Simulator wurde vereinfacht und macht es daher sehr schwer die Situation im Yoga-Raum korrekt abzubilden. Basierend auf diesem vereinfachten Simulator wurden schon falsche Aussagen gemacht, die das Risiko im Yoga-Raum massiv unterschätzen. Aus diesem Grund raten wir dringend, anstelle des vereinfachten ZEIT-Simulators den originalen MPI „Risiko-Kalkulator“ zu verwenden. Dieser ist hier erreichbar.

Vier triftige Gründe den Simulator als Yogalehrer*in zu benutzen

Wir sehen vier mögliche Einsatzbereiche des MPI Risiko-Rechners für Euch Yogalehrer*innen und für Yoga-Studios für die Zeiten, in denen wieder Stunden in geschlossenen Räumen erlaubt sind, aber die Pandemie noch läuft. Natürlich gilt alles hier geschriebene analog für alle ganzheitlichen Bewegungssysteme, die mit mehr oder weniger fixen Positionen der Teilnehmer im Raum arbeiten ebenfalls, also zum Beispiel Chi Gong, Tai Chi, Feldenkrais, etc.

  1. Du kannst Deine Neugierde spielerisch befriedigen, um zu lernen, welche Faktoren die potentielle Übertragung von SARS-COV-2 am stärksten beeinflusst.
  2. Du kannst die Situation in Deinem Yoga-Raum spezifisch für Deinen Yoga-Stil angepasst überprüfen und ggf. Verbesserungen durchführen.
  3. Du kannst damit Deinen Teilnehmern transparent das Risiko eines Kursbesuches darstellen, so dass diese eine informierte Entscheidung treffen können, ob sie in die Stunde vor Ort kommen wollen oder doch lieber zu hause per Live-Video mit Dir üben (falls Du Hybrid-Unterricht anbietest).
  4. Du hast ein wissenschaftlich fundiertes Werkzeug zur Hand, um über Deine Situation mit den zuständigen Behörden zu sprechen und zu verhandeln.

Ganz egal, wie Deine Einstellung zum Thema Corona-Maßnahmen ist (was auch nicht das Thema hier ist!): Wir denken, dass jede Yogalehrer*in sich mit diesem Simulator aus einem oder allen genannten Gründen auseinandersetzen sollte.

Los geht’s also:

Hintergründe – das Ausatmen ist für die Aerosol-Bildung entscheidend!

Die Hintergründe zum Simulator werden sehr schön im entsprechenden ZEIT-Artikel erklärt. Ich beschränke mich daher hier auf die Erklärung, weshalb es für uns Yogalehrer*innen nötig ist, den MPI Risiko-Rechner im Original zu benutzen. Dieser erlaubt ganz spezifisch mit unterschiedlichen Atemzeitvolumen zu arbeiten, also dem Atemvolumen pro Zeit. Dies spielt die entscheidende Rolle in unseren Betrachtungen, da wir unterschiedliche Yoga-Stile unterrichten und der Hauptunterschied in Bezug auf die Atemintensität besteht. Den Link zum ZEIT-Artikel findest Du am Ende dieses Beitrags.

Dazu nochmals zur Erinnerung oder zur Klärung: Das Modell simuliert die Übertragung durch Aerosole. Wovon hängt die individuelle Abgabe von Aerosol ab? Im wesentlichen von unserer Atmung. Dies ist den Autoren des MPI-Modells klar, weshalb sie den Faktor Atemzeitvolumen in der Simulation eingeschlossen haben. Dies ist aber für die meisten Menschen ein abstrakter Wert. In Alltagssituationen verändert sich das Atemzeitvolumen hauptsächlich dann maßgeblich, wenn wir sprechen oder singen. Daher hat das MPI-Modell als zweite Stellgröße in dieser Hinsicht eine Skala für die Sprechintensität.

An diesem Punkt bereitet es uns das graphisch schöne Simulations-Werkzeug der ZEIT-Webseite ein riesiges Problem: Es lässt das Atemzeitvolumen unter den Tisch fallen und arbeitet nur mit Sprechintensität…

Als Yogalehrer*innen brauchen wir jedoch genau diese Atemzeitintensität, um eine realistische Einschätzung zu erreichen. Das Sprechen spielt eine untergeordnete Rolle, egal, welche Art von Yoga-Unterricht wir betrachten. Warum? – Dazu müssen wir uns klar machen, was das Modell simuliert: Es rechnet die Übertragungswahrscheinlichkeit innerhalb der Gruppe ausgehend von einem einzelnen infizierten Gruppenmitglied. Für uns als Yogalehrer*innen spielt es bei der Betrachtung also eine vielfach größere Rolle, wie das Modell in Bezug auf eine potentiell infizierte Teilnehmer*in aussieht, die ja in der Stunde normalerweise nicht reden. Wenn also das Sprechen mit einer höheren Aerosol-Bildung verbunden ist, so sind wir als Yogalehrer*innen der Einzelfall im Raum, während die Teilnehmer den häufigeren (stummen) Regelfall darstellen. Wir können also generell zwei Fälle betrachten:

  1. Die oder der Teilnehmer**in ist infiziert
  2. Die oder der Yogalehrerin**in ist infiziert.

Der erste Fall ist immer zwangsläufig der wesentlich häufigere und daher für unsere Betrachtung der relevantere Fall. Wenn wir zum Beispiel 15 Teilnehmer*innen haben, ist Fall 1 fünfzehn mal wahrscheinlicher als Fall 2.

Wie simuliert man eine konkrete Kurssituation?

Bevor du weiter liest oder weiter hörst, schau Dir einmal den Risiko-Rechner auf der MPI-Webseite an und spiele damit herum, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Dann komm hierher zurück und überprüfe, ob Du die Knackpunkte des Simulators richtig gemeistert hast oder ob es Verbesserungsbedarf an Deinen Einstellungen gibt. Hier nochmal der Link zum Risiko-Rechner.

Hast Du Dich mit dem Risiko-Rechner vertraut gemacht? – Prima! Dann geht’s weiter mit den allgemeinen Hinweisen zu den Einstellungen.

Allgemeine Einstellungen

Der Rechner besteht aus drei Abschnitten oder Parameter-Sets:

  • Eigenschaften der infizierten Person
  • Raumeigenschaften
  • Veranstaltungsdetails

Was ist für Deine Situation wesentlich? Zunächst einmal die Raumeigenschaften und die Veranstaltungsdetails. Diese sind mit Ausnahme von einem oder zwei Punkten selbsterklärend. Du wirst ohne Probleme Deine Raumgröße, Raumhöhe, Dauer und Teilnehmerzahl (immer inklusive Yogalehrer**in !) eintragen können. Die „Masken-Filtereffizienz“ wird auf 0 gesetzt, solange wir ohne Maske in Gruppenstunden üben dürfen, andernfalls setze den Wert auf 0,2 (also den Wert für eine Alltagsmaske).

Der eigentliche Knackpunkt in den allgemeinen Einstellungen ist die „Luftaustauschrate“. Hier kann man Werte zwischen 0 und 20 eingeben. Was bedeutet das? In diesem Modell ist es die Häufigkeit pro Stunde, mit der die gesamte Luft des Raumes einmal ausgetauscht wird. Oder vielleicht noch verständlicher: Wie oft ist die Luft pro Stunde (gemeint sind 60 Minuten) so Aerosol-frei wie möglich. Sieht man es so, wird es relativ leicht, dieses Feld realistisch auszufüllen: Lüften wir einmal pro Stunde, dann haben wir zweimal die Situation ohne Aerosole: einmal am Anfang und einmal nach dem Lüften. Also der Wert „2“. Lüften wir zweimal pro 60 Minuten, dann haben wir insgesamt dreimal Aerosol-freie Luft, und so weiter.

Schwieriger ist es, Lüftungsanlagen oder HEPA-Luftfilter hierin zu berücksichtigen. Wenn Du keinen solchen Luftfilter hast, kannst Du den folgenden Abschnitt überspringen.

Sonderfall HEPA-Luftreinigungsfilter – die Tücken der Werbeangaben der Hersteller

Wenn eine eingebaute Lüftungsanlage vorhanden ist, dann fragt doch Eure Hausverwaltung, wie hoch die Leistung der Anlage ist, also wie oft tauscht sie pro 60 Minuten das Raumvolumen komplett aus. Das gibt Euch einen realistischen Wert. Wenn ihr keine Angaben dazu findet, dürfte ein Wert zwischen 4 und 6 realistisch sein.

Für mobile HEPA-Luftfilter ist es besonders schwierig, eine realistische Einschätzung zu machen. Die Autoren des MPI-Rechners widmen dem Thema einen ganzen Abschnitt im zugehörigen wissenschaftlichen Artikel. Fazit davon: Es kommt auf die Leistungsfähigkeit des Filters an – gemessen in einem ISO-Test. Die Ergebnisse dieser Tests weichen regelmäßig von den Werbeangaben der Hersteller ab. Um die Leistung des Filters also möglichst realistisch zu betrachten, würde ich folgende Eingaben wählen:

  • Werte von 6 bis 9, falls der Filter die gesamte Dauer unter Maximalleistung läuft. Wer einmal mit einem solchen Filter gearbeitet hat, weiß, dass dies nicht realistisch ist. Die Filter sind unter Maximalleistung so laut, dass man zumindest für die „ruhigen“ Teile der Yoga-Stunde die Leistung drosseln wird.
  • Wird also der Filter zu den aktiveren Phasen auf Maximalleistung betrieben und in den ruhigen Teilen der Stunde in den „Leise-Modus“ oder ähnliches versetzt, ist ein Wert von 4 realistischer.
  • Wird der Filter in einem „intelligenten“ Automatikmodus betrieben, ist Vorsicht angesagt! Dann misst ein Sensor den Aerosolgehalt. Leider ist dann die Leistung stark von der Raumgeometrie abhängig. In größeren Räumen kann das tückisch sein. Dann können ggf. temporär in den Randbereichen dennoch Aerosole in höherer Konzentration auftreten, wenn der Filter im Zentrum zum Beispiel nur relativ schwach läuft, weil er im Zentrum wenig misst. Daher arbeite ich im Kurs immer mit manuellen Einstellungen.
  • Wird zusätzlich zum Filter manuell stoßgelüftet, dann addieren sich die entsprechenden Werte. Ein Beispiel: Filter, wie im zweiten Fall beschrieben mit zwei Leistungsstufen eingesetzt, entspricht „4“, dazu zweimal Lüften pro 60 Minuten entspricht „3“, macht in der Summe „7“.

Vor allem, wenn ihr den Luftfilter als Argument gegenüber Behörden einsetzt, rechnet eher konservativ und mischt mit Stoßlüften. Dann vermeidet ihr den Vorwurf, dass ihr mit reinen „Werbewerten“ der Hersteller rechnet, die einem Iso-Test gegebenenfalls nicht standhalten. Dazu noch der Rat, falls ihr einen solchen Filter anschaffen wollt: Kauft auf jeden Fall ausschließlich Geräte von namhaften Markenherstellern. Diese haben mehr zu verlieren und daher sind deren Angaben wohl präziser. Ich persönlich habe ein „einfacheres“ Markengerät angeschafft, das nur am Gerät selber manuell zu bedienen ist und zusätzlich drei Automatik-Modi hat. Auf eine App-Steuerung habe ich bewusst verzichtet, weil man an diesen Geräten in der Regel nicht unmittelbar am Gerät eingreifen kann. In der Yoga-Stunde von Maximalleistung auf „Leise-Modus“ umzustellen, ist für mich praktischer, wenn ich es mit einem Knopfdruck am Gerät machen kann, ohne am Handy rumfummeln zu müssen (ganz abgesehen davon, dass man dann zwingend WLAN im Kursraum braucht).

Nun aber zu den eigentlichen Einstellungen für die Kurssituation.

Fall 1: Eine Teilnehmer**in ist infiziert – Risiko für unterschiedliche Yoga-Stile

Die Einstellungen für diesen Fall sind ebenfalls weitgehend selbsterklärend, bis auf einen oder zwei Punkte. Lass uns der Reihe nach durchgehen:

  • Lautstärke: ist eine allgemeine Einstellung. Kann von 1 bis 9 eingestellt werden. In einer normalen Yoga-Stunde würde ich das auf 1-2 einstellen. Diese Einstellung bezieht sich eh nur auf die Situation am Anfang und am Ende, wo die Teilnehmer**innen etwas sagen. Willst Du ein OM oder ein Mantra anstimmen, dann beachte bitte, dass für Singen der Wert 9 gilt (hoher Aerosol-Ausstoß). Siehe dazu die Ausführungen zum Thema Chor auf der ZEIT-Webseite.
  • Masken-Filtereffizienz. Mögliche Werte sollen zwischen 0 (ohne Maske) und 0,95 (FFP3-Maske) realistisch eingestellt werden. Der Wert 1 sollte Gasmasken vorbehalten sein …
  • Redeanteil: An diesem Punkt ist gefragt, wie viel eine einzelne Teilnehmer**in in Deiner Stunde prozentual redet. In einer normalen angeleiteten Praxisstunde dürfte ein Wert von 5% realistisch sein, für das Reden miteinander am Anfang und am Ende.
  • Atemzeitvolumen in Liter pro Minute: Kann von 5 bis 20 gesetzt werden. Dies ist der eigentliche Knackpunkt und der Dreh- und Angelpunkt, um einzelne Yoga-Stile und andere ganzheitliche Bewegungsübungen abzubilden. Die Frage lautet also: Wie viel atmet eine durchschnittliche Teilnehmer**in pro Minute? Lasst uns das in einem gesonderten Abschnitt betrachten.

Die Frage des Atemzeitvolumens: Wie viel atmet eine Teilnehmer**in pro Minute?

Die Beantwortung dieser Frage ist einerseits für das Modell wichtig, andererseits nicht ganz trivial. Bevor wir also Näherungswerte betrachten, rate ich an dieser Stelle dringend, mit verschiedenen Werten für Deinen konkreten Fall zu rechnen und den Einfluss auf das Ergebnis zu betrachten. Das gibt Dir auch die Chance, darüber nachzudenken, an welcher Stelle im Kurs vielleicht die Atemintensität verringert werden kann, denn generell gilt: geringere Atemintensität gleich geringeres Übertragungsrisiko. Das ist eine einfache, aber präzise Faustregel während der Pandemie.

Es gibt verschiedene Aspekte im Yoga, die das Atemzeitvolumen wesentlich beeinflussen. Diese sind vor allem:

  • Die Art und Intensität der Übung.
  • Spezifische Pranayama-Varianten, sowohl als alleinstehende Atemübungen, als auch gekoppelt mit den Asanas und Sequenzen.
  • Der „Trainingslevel“ der Teilnehmer.

Die Autoren des Rechners diskutieren in der Originalpublikation den Aspekt „Fitnessübungen“ in geschlossenen Räumen. Während sie für einen Durchschnittsmenschen bei normaler, nicht-anstrengender Aktivität ein Atemzeitvolumen von 10 Liter pro Minute angeben, betonen sie, dass bei anstrengenden Fitnessübungen der Wert leicht drei- bis fünffach höher liegt!

An dieser Stelle kommt der „Trainingslevel“ der Teilnehmer ins Spiel. Yogis wissen, dass langjähriges, regelmäßiges Üben dazu führt, dass man mit wesentlich weniger Atem durch die selbe Übungssequenz kommt. Weiter gilt, dass unterschiedliche Atemweisen zum selben ausgetauschten Volumen pro Zeit führen können. Eine detaillierte Ausführung dazu findest Du im Buch „Anatomie des Hatha Yoga“ von David Coulter im Kapitel 2.

Da das Modell nur einen Durchschnittswert für die gesamte Veranstaltung zulässt, müssen wir außerdem noch den Stundenverlauf berücksichtigen. Also, in welchen Anteilen wird eher weniger und eher mehr geatmet.

Das alles macht es uns schwer, verschiedene Situationen realistisch zu betrachten. Man kann aber folgende Verallgemeinerungen treffen:

  • Anfänger werden in der Regel in anstrengenden Kursteilen sehr viel mehr atmen als der Durchschnitt.
  • Fortgeschrittene atmen deutlich weniger als der Durchschnitt.
  • Als Durchschnitt würde ich hier Menschen betrachten, die einmal pro Woche zur Stunde kommen und sich ansonsten noch in angemessener Weise unter der Woche zusätzlich bewegen ohne explizit Spot zu betreiben…

Aus meiner Sicht ergeben sich für mich folgende realistische Richtwerte für folgende prinzipielle Situationen während der Stunde für durchschnittliche Teilnehmer*innen. Diese Werte kann man entsprechend der persönlichen Gruppensituation und der Art der Teilnehmer ein wenig nach oben oder unten korrigieren:

  • Entspannung im Liegen (Bauchatmung): 3 bis 5
  • Achtsames meditatives Sitzen: 4 bis 6
  • Leichte Übungen im Stand/in Bewegung: 9 bis 11
  • Mittlere Übungen im Stand/in Bewegung: 11 bis 15
  • Intensive Übungen im Stand/in Bewegung: 15 bis 20

Rechnen wir nun also mehrere Beispiele für 90-Minuten-Stunden. Gerechnet wird jeweils der Wert multipliziert mit der Zeit. Dann werden alle Zwischenergebnisse addiert und durch 90 Minuten geteilt. Die Beispiele werden mit folgenden anderen Parametern gerechnet:

    • Luftaustauschrate: 3 (zweimal Lüften pro Stunde)
    • Grundfläche: 80 Quadratmeter
    • Höhe: 3 Meter
    • Dauer: 1,5 Stunden
    • Masken-Filtereffizienz: 0 (ohne Maske)
    • Teilnehmer: 16 (mit Yogalehrer**in)

Betrachten wir den ersten Yogastil:

Yoga für Entspannung mit leichten Bewegungen und viel Entspannung und Meditation

  • insgesamt 20 Minuten Entspannung im Liegen: 20 mal 4, gleich 80
  • Insgesamt 10 Minuten Meditation:  10 mal 5 gleich, 50
  • Insgesamt 60 Minuten leichte Übungen im Stand und in Bewegung: 60 mal 10, gleich 600
  • Summe pro 90 Minuten: 730
  • Durchschnittswert pro Minute: 730 durch 90, gleich 8,1

Das Ergebnis im Rechner ergibt für diesen Fall folgende Werte:

  • 0,11% individuelle Ansteckungsgefahr, falls eine andere Teilnehmer**in hochansteckend ist.
  • 1,6% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer** ansteckt, falls eine andere Teilnehmer**in hochansteckend ist.

Der zweite Wert ist der entscheidende für die Einschätzung der Gefährdung. Ein Wert von 1% bedeutet, dass es im Durchschnitt zu einer einzigen Ansteckung in insgesamt 100 solchen Yoga-Stunden (mit jeweils einer hoch infektiösen Teilnehmer**in) kommen würde.  1,6% bedeutet dementsprechend, dass es im Durchschnitt zu einer einzigen Ansteckung in insgesamt 62 solchen Yoga-Stunden (mit jeweils einer hoch infektiösen Teilnehmer**in) kommen würde. Das ist allerdings Statistik und der Natur ist Statistik ziemlich „wurscht“. Es kann also auch zu gar keiner oder zu fünf oder mehr Ansteckungen unter diesen Bedingungen kommen …

Wie wirkt es sich aus, wenn man in einer solchen Stunde mal vergisst, zu lüften? Machen wir das Experiment und setzen den Wert für Luftaustausch auf 0,35 (passiver Luftzug im geschlossenen Raum)

Das Ergebnis ist:

  • 0,41% individuelle Ansteckungsgefahr.
  • 5,9% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt.

Bei Einsatz eines HEPA-Luftfilters und zweimaligem zusätzlichen Lüften kommen wir zu:

  • 0,05% individuelle Ansteckungsgefahr.
  • 0,75% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt.

Betrachten wir eine intensivere Stunde zum Vergleich.

PowerYoga mit Savasana und kurzer Meditation (gemischte Gruppe)

  • Je 10 Minuten Aufwärmsequenz und Abklingsequenz mit mittlerer Intensität: 10 mal 13, gleich 130
  • 55 Minuten intensive Übungen im Stand und in Bewegung: 55 mal 17,  gleich 935
  • 10 Minuten Savasana: 10 mal 4, gleich 40
  • 5 Minuten Meditation: 5 mal 5, gleich 25
  • Summe pro 90 Minuten: 1130
  • Durchschnittswert pro Minute: 1130 durch 90, gleich 12,6

Das Ergebnis im Rechner ergibt für diesen Fall folgende Werte bei zweimaligem Lüften:

  • 0,26% individuelle Ansteckungsgefahr.
  • 3,8% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt.

Vergisst man zu lüften, dann steigen die Werte auf:

  • 0,98% individuelle Ansteckungsgefahr.
  • 14% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt.

Arbeitet man dafür mit HEPA-Luftfilter und zweimaligem Lüften, ergibt sich:

  • 0,12% individuelle Ansteckungsgefahr.
  • 1,58% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt.

Hört sich nicht so schlimm an – die Rechnung stimmt so aber leider nicht

Das Problem ist, dass man nicht das wirkliche Risiko abbildet, wenn man mit den Durchschnittswerten und der gesamten Stunde rechnet! Das Risiko für die gesamte Stunde ergibt sich aus dem höchsten Risiko für die einzelnen Teile! Aus diesem Grund wurde zum Beispiel das Singen in Gruppen eingeschränkt und ganz speziell im Yoga Pranayama-Übungen untersagt.

PowerYoga-Stunde: Maximalrisiko

Schauen wir uns an warum, und betrachten nochmals die scheinbar harmlose PowerYoga-Stunde: Der intensivste Teil sind die 55 Minuten mit Atemzeitvolumen „17“. Beschränken wir das Rechenmodell also auf 55 Minuten, also 0,917 Stunden. Dann bekommen wir das Risiko, das in dieser Zeit herrscht. Was davor und danach in der Stunde passiert, spielt für das Gesamtrisiko keine Rolle. Nur das höchste Risiko während der Stunde gibt uns einen korrekten Anhaltspunkt.

MPI-Corona-Risiko-Rechner-ohn-LüftenFür die PowerYoga-Intensiveinheit von 55 Minuten bei Atemzeitvolumen 17 ergibt sich dementsprechend bei zweimaligem Lüften (in diesen knapp 60 Minuten!):

  • 0,29% individuelle Ansteckungsgefahr.
  • 4,2% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt.

Vergisst man das Lüften oder denkt, in dieser intensiven Zeit auf das Lüften verzichten zu können, ergibt sich:

  • 1,1% individuelle Ansteckungsgefahr.
  • 15% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt.

Setzt man einen HEPA-Luftfilter bei zweimaligem zusätzlichen Stoßlüften ein, verbessert sich die Situation auf:

  • 0,14% individuelle Ansteckungsgefahr.
  • 2,0% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt.

Zum Vergleich: Jagen wir eine Gruppe von un-fitten, völligen Anfängern durch eine solche Einheit, steigt das Atemzeitvolumen nochmals an. Für den Fall ohne Lüften und bei angenommenen 20 Litern pro Minute Atmung, würde die Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt, auf 25% steigen …

Sanfte Yoga-Stunde: Maximalrisiko

Auch für die sanfte Yoga-Stunde ergeben sich dementsprechend höhere Risiko-Werte, da wir die Betrachtung auf die 60 intensivsten Minuten mit Atemzeitvolumen 10 beschränken müssen. Bei zweimaligem Lüften ergibt sich:

  • 0,13% individuelle Ansteckungsgefahr.
  • 2% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt, falls eine andere Teilnehmer**in hochansteckend ist.

Ohne Lüften:

  • <0,52% individuelle Ansteckungsgefahr, falls eine andere Teilnehmer**in hochansteckend ist.
  • 7,5% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt.

Mit HEPA-Luftfilter:

  • <0,064% individuelle Ansteckungsgefahr.
  • 0,95% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt.

Fall 2: infizierte Yogalehrer**in – Weniger problematisch?

Nach all diesen Berechnungen wird es Dir leicht fallen, eine Situation mit infizierter Yogalehrer**in zu simulieren. Leider zeigt sich dabei, dass das Ansteckungsrisiko für die Teilnehmer*innen ziemlich hoch ist.

Gehen wir dabei von einer Lautstärke des Sprechens von 1 (leise) aus und einem Redeanteil von 60% bei Atemzeitvolumen 10 aus, dann ergibt sich:

  • 0,46% individuelle Ansteckungsgefahr.
  • 6,7% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt.

Bei Redeanteil von 80% steigt die Wahrscheinlichkeit auf 8,2%, wird dann noch auf Lautstärke 2 (also „normal“) laut angesagt , was realistischer sein dürfte, kommen wir auf 12% Wahrscheinlichkeit bei 60% Redeanteil.

Um Deine Teilnehmer*innen zu schützen ist es also wichtig, sicher zu stellen, dass Du Dich im Alltag vorsichtig verhältst und in den Kursen eher weniger und eher leise sprichst, was nicht immer möglich ist. Dennoch ist der Fall 2 unwahrscheinlicher als Fall 1, einfach weil im Verhältnis so viel mehr Teilnehmer*innen im Raum sind. Fall 1 ist für unsere Betrachtung und Argumentation also relevanter.

Wichtigste Regel für die Berechnung Deines Yoga-Kurses

Du kannst und musst Dich bei der Eingabe im Rechner auf den atemintensivsten Hauptteil Deiner Yoga-Stunde bei der Berechnung beschränken! Nur dann erhältst Du eine realistische Abschätzung des Risikos und dieses gilt für die gesamte Stunde! Es ist zum Beispiel für eine sanftere Stunde egal, wenn da auch 5 Minuten intensiver Sonnengruß mit starker Atmung dabei wäre. Eine solche 5-Minuten-Einheit bei Atemintensität 17 ergibt zum Beispiel eine Wahrscheinlichkeit von 1,8%, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt. Dies liegt also unter den 2% Wahrscheinlichkeit für die 60-Minuten Bewegungseinheit bei Atemzeitvolumen 10 und ist daher vernachlässigbar.

Ist Pranayama wirklich gefährlicher als der Rest der Stunde? – Das Modell sagt nein!

Eine Konsequenz daraus ist aber auch umgekehrt: 5 Minuten Pranayama erhöhen das Risiko nicht unbedingt, oder zumindest nur leicht. Nimmt man zum Beispiel das Atemzeitvolumen  aus dem oben genannten Buch „Anatomie des Hatha Yoga“ für eine beliebte Pranayama-Übung: für Kapalabhati wird dort bei 120 Atemzügen pro Minute ein Atemzeitvolumen von 18 Litern pro Minute angegeben. Nehmen wir diesen Wert für das Modell und simulieren 3 Minuten Kapalabhati (entspricht 0,05 Stunden) ohne jegliche Lüftung in dieser Zeit, ergibt dies folgendes Risiko:

  • 0,13% individuelle Ansteckungsgefahr.
  • 2% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt.

Öffnen wir in dieser Zeit aber das Fenster (simuliert durch die Luftaustauschrate 2), ergibt sich ein relativ niedriges Risiko:

  • <0,03% individuelle Ansteckungsgefahr.
  • 0,45% Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein weiterer Teilnehmer ansteckt.

Fazit: Das Modell hilft Risiken zu erkennen und zu minimieren

Welches Szenario – sprich, welches Risiko – aus den berechneten Beispielen akzeptabel wäre oder nicht, musst Du als Yogalehrer**in entscheiden, gegebenenfalls unter Hilfestellung durch das Gesundheitsamt oder eine untergeordnete zuständige Behörde. Ebenso hilft das Modell Deinen Teilnehmern ihr persönliches Risiko zu betrachten und sich entsprechend einzurichten.

Weil dieses Risikoempfinden subjektiv ist, setze ich persönlich außerhalb von Lockdown-Phasen auf Hybrid-Unterricht. Das wird von den meisten Teilnehmern sehr geschätzt. Ich hoffe, dieser Artikel gibt Dir eine positive Handreichung, um Deinen Yoga-Unterricht in Pandemie-Zeiten konstruktiv zu gestalten, sodass eine Win-Win-Situation entsteht: Dass Dein Unterricht Dich wirtschaftlich trägt und Du für Deine Teilnehmer*innen da sein kannst.

Bitte empfehle diesen Artikel an andere Yogalehrer*innen weiter und teile den Artikel in den Social Media. Es ist wichtig für die Außenwirkung des Yoga, dass möglichst viele Yogalehrer*innen informiert und mit wissenschaftlich fundierten Argumenten nach außen auftreten. Der MPI-Rechner und dieser Artikel helfen dabei.

Ein Wort zum Schluss zum Thema SARS-COV-2 und Aerosole

Man hört immer wieder, dass sich SARS-COV-2 nicht über Aerosole übertrage. Es wird dann oft ein Artikel aus dem Ärzteblatt von Juli 2020 ins Feld geführt. Dazu nur zwei Hinweise:

  1. Das Ärzteblatt ist soetwas wie die BILD-Zeitung der Ärzteschaft. Dort werden Nachrichten aus der Welt der Medizin für Ärzte aufbereitet. Wenn dort also ein Hinweis auf eine bestimmte wissenschaftliche Meinung erscheint, heißt das lediglich, dass zu dieser wissenschaftlichen Meinung ein Artikel irgendwo in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift erschienen ist. Wissenschaft ist aber immer im Disput, im Hinterfragen und in der Entwicklung, darum ist es niemals so, dass eine einmal im Äzteblatt erschienene Meinung absolut ist. Sie stellt nur eine Momentaufnahme dar.
  2. Nach diesem vielzitierten Ärzteblatt-Artikel im Juli sind jeden Monat – auch im Ärzteblatt! – neue wissenschaftliche Erkenntnisse erschienen, die klar untermauern, dass sich SARS-COV-2 über Aerosole verbreitet, genauso wie über Schmierinfektionen.
    Falls Dich ein aktueller englischsprachiger wissenschaftlicher Originalartikel zum Thema Aerosole und SARS-COV-2 von November 2020 interessiert, findest Du ihn hier.

Das Robert-Koch-Institut schreibt folgendes zu diesem Thema:

Nach derzeitigen Erkenntnissen erfolgt die Übertragung von SARS-CoV-2 bei direktem Kontakt über z.B. Sprechen, Husten oder Niesen . In der Übertragung spielen Tröpfchen wie auch Aerosole (feinste luftgetragene Flüssigkeitspartikel und Tröpfchenkerne), die längere Zeit in der Luft schweben können, eine Rolle, wobei der Übergang zwischen den beiden Formen fließend ist. Durch das Einhalten eines Abstands von mindestens 1,5 m kann die Exposition gegenüber Tröpfchen sowie in gewissen Umfang auch Aerosolen verringert werden.

Eine Übertragung von SARS-CoV-2 durch Aerosole ist in bestimmten Situationen über größere Abstände möglich, z.B. wenn viele Personen in nicht ausreichend belüfteten Innenräumen zusammenkommen und es verstärkt zur Produktion und Anreicherung von Aerosolen kommt. Das passiert insbesondere beim Sprechen mit steigender Lautstärke, aber auch beim Singen oder ggf. auch bei sportlicher Aktivität. Inwieweit es hier zur Übertragung kommen kann, ist noch nicht abschließend untersucht, jedoch ist es unter anderem zu Übertragungen von COVID-19 im Zusammenhang mit Chorproben und in einem Fitnesskurs gekommen. Im Rahmen der COVID-19-Pandemie ist es daher ratsam, derartige Situationen zu vermeiden.

Generell können Aerosole durch regelmäßiges Lüften bzw. bei raumlufttechnischen Anlagen durch einen Austausch der Raumluft unter Zufuhr von Frischluft (oder durch eine entsprechende Filtrierung) in Innenräumen abgereichert werden. Übertragungen von SARS-CoV-2 im Freien über Distanzen von mehr als 1,5 m und die Vermeidung von größeren Menschenansammlungen sind bisher nicht beschrieben. Das Einhalten eines Abstands von mindestens 1,5 m und die Vermeidung von größeren Menschenansammlungen werden jedoch auch im Freien empfohlen, um eine direkte Exposition gegenüber Tröpfchen und Aerosolen zu minimieren.

Den Link zur Quelle findest Du hier  (Abgerufen am 30.11.2020)

Den Link zum ZEIT-Artikel über den MPI-Rechner mit weiteren Hintergründen und anderen Beispielen findest Du hier.

 

 

 

Unzufriedenheit GEdankenfutter Michael Nickel - Foto:Andre Hunter Unsplash
Lesedauer 11 Minuten

Von Michael Nickel

Unzufriedenheit ist ein heißes Eisen. Sie breitet sich in schwierigen Zeiten aus wie eine Infektion, langsam und kriechend und bringt ihre fiese Schwester mit, die Empörung. Moment mal! Sage ich hier etwa, dass es schlecht ist, unzufrieden zu sein und sich zu empören? – Nein, nicht wirklich! Und: Ja, in gewisser Weise schon. Wie kommt eine solche ambivalente Aussage über Unzufriedenheit und Empörung zustande?

Wir müssen uns klar sein, dass alles, dem wir in diesem Universum begegnen, zwei Seiten hat. Allem in dieser Welt wohnen im Kern schlummernd konstruktive und nicht-konstruktive, um nicht zu sagen destruktive, Aspekte inne. Ob sich das konstruktive oder das nicht-konstruktive manifestiert ist eine Frage des Bewusstseins, mit dem etwas verbunden ist. In Punkto Unzufriedenheit und Empörung ist es also unser eigenes Bewusstsein, von dem wir hier sprechen. Der erste Punkt ist also, dass es davon abhängt, welchen Grad an Klarheit und Bewusstsein wir über unsere Unzufriedenheit und die daraus resultierende Empörung haben. Dies beeinflusst, ob sich daraus ein konstruktives oder ein nicht-konstruktives Resultat ergibt. Weiterlesen

Lesedauer 4 Minuten

Von Michael Nickel

Die dunkelsten Wochen des Jahres liegen vor uns. Wie reagierst Du darauf? Ertappst Du Dich auch immer wieder dabei, Dich zu beklagen, dass es so früh dunkel wird?

Was bedeutet das eigentlich, wenn wir uns über die langen Nächte beklagen? Dass uns das äußere Licht fehlt, welches uns die Sonne unermüdlich spendet. Eigentlich ein schöner Gedanke, denn er trägt – wenn auch etwas versteckt – unsere Dankbarkeit für das äußere Licht in der Natur in sich.

Doch wir alle tragen auch ein Inneres Licht in uns. Das Licht des reinen Bewusstsein – Om jyotir aham! – darüber spricht Yoga Sutra 1.36: viśokā vā jyotiṣmatī: In uns existiert ein Zustand jenseits des Leides, der voller Licht und Wonne ist. Dieses Licht ist unser innerster Wesenskern und Dreh und Angelpunkt vieler traditioneller Praktiken von Yoga und Meditation. Weiterlesen